Pussy-Riot-Mitglied entkommt Hausarrest: Filmreife Flucht
Pussy-Riot-Mitglied Maria Aljochina ist als Lieferservice-Mitarbeiterin verkleidet aus dem Hausarrest entkommen. Das zeige das Chaos im Machtapparat.
Ein Selfie, bevor sie geht und für die Ewigkeit: Maria Aljochina steht in der grünen Uniform eines Lieferservices vor dem Spiegel. Mütze und Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Thermorucksack für den Essenstransport auf dem Rücken. In dieser Verkleidung soll die politische Aktivistin und Mitglied der russischen Punkband Pussy Riot es letzte Woche aus ihrer Wohnung in Moskau und schließlich aus Russland heraus geschafft haben.
An den Polizist:innen vorbei, die ihre Wohnung überwachten, die sie nachts nicht mehr verlassen durfte. Ein Jahr Freiheitsbeschränkung hatte das Urteil vergangenen September gelautet. Doch diesmal hat die russische Regierung die Freiheit nicht lange beschränken können: Aljochina befinde sich nicht mehr auf russischem Staatsgebiet, bestätigte ihr Anwalt am Dienstagabend der Agentur Interfax.
Nach Angaben der New York Times hält sie sich in der litauischen Hauptstadt Vilnius auf. Der Zeitung erzählt sie die Geschichte einer spektakulären Flucht, die zugleich viele Fragen aufwirft, was die Kompetenz der russischen Rechtsdurchsetzung angeht: Ein Freund hat sie bis nach Belarus gefahren. Drei Versuche brauchte sie, um dort über die Grenze nach Litauen zu kommen. Unterstützt wurde sie unter anderem von dem isländischen Künstler Ragnar Kjartansson. Er soll dafür gesorgt haben, dass ein europäisches Land, das nicht genannt werden möchte, ihr Reisedokumente ausstellte.
Nicht so viel Kontrolle, wie Putin gern hätte
„Es klingt wie ein Spionageroman“, sagt Aljochina der New York Times. Ein politisches Künstler:innen-Kollektiv vs. den russischen Staat. Diesmal haben die Aktivistinnen gewonnen. Und vor allem haben sie einen Beleg dafür, dass in Russland nicht alles so unter Kontrolle zu sein scheint, wie Putin es gerne hätte. Ihre Flucht zeige nur, wie chaotisch der russische Gesetzesvollzug abläuft, meint Aljochina. Was wie ein großer Dämon wirke, sei von innen betrachtet sehr unorganisiert. „Die rechte Hand weiß nicht, was die linke gerade macht“, sagt sie.
Im Jahr 2012 wurde die heute 33-Jährige zu zwei Jahren Straflager verurteilt, nachdem sie in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau gegen Putin protestiert hatte. Als vor einigen Wochen die russischen Behörden ankündigten, ihren Hausarrest in einen Aufenthalt in einer Strafkolonie umzuwandeln, beschloss sie, Russland zu verlassen. Zumindest vorübergehend. Eine von Tausenden russischer Geflüchteter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid