Punk-Festival in Berlin: Sprengkraft im System
Ein zweitägiges Festival im Tommy-Weisbecker-Haus in Berlin erinnerte an den Punk im Slowenien der frühen 1980er.
Was denn dieses A im O zu bedeuten habe? Als der Punk im Teenageralter diese Frage von einem slowenischen Behördervertreter gestellt bekommt, lachen viele der rund 100 Zuschauer*innen im Saal des Tommy-Weisbecker-Hauses in Berlin-Kreuzberg. Im Halbdunkel ist auch hier auf so mancher Lederjacke der Sticker mit dem Anarchie-Symbol zu erkennen.
Andrej Košaks Film „Punk Under Communist Regime“ ist von einer Lebensfreude und Aufbruchstimmung geprägt, die auch in den Erzählungen der eingeladenen Zeitzeugen immer wieder durchblitzt. „Kinder des Sozialismus“ lautete der Name eines zweitägigen Festivals, das zum Anlass des 50-jährigen Jubiläums von Punk die Subkultur im Slowenien der frühen 1980er Jahre in den Fokus nahm.
Eine zentrale Figur der damaligen Szene war Esad Babačić, Dichter, Schriftsteller und Gründungsmitglied der wegweisenden Gruppe Via Ofenziva. Gemeinsam mit dem in Berlin lebenden Kurator Marko Kraševec hat Babačić das Programm der Veranstaltung konzipiert. Gleich zu Beginn steht er im Dunklen hinten auf der Bühne und spielt Punksongs an.
Texte über den tristen Alltag der Arbeiter
Deren Texte hat er bereits in einem Sammelband veröffentlicht, der unter dem Titel „Ändert meinen Kopf“ 2023 auch in deutscher Sprache erschienen ist. Begleitet wird er von der Schauspielerin Sabine Kotzur. Sie sitzt vor der Bühne, ausgestattet mit einer kleinen Stehlampe, und liest die deutsche Übersetzung seiner Texte, die von Selbstbestimmung und dem tristen Alltag der Arbeiter erzählen.
Bei vielen im Publikum und auf der Bühne sind einst bunte Haare dem Silber gewichen, dennoch wirkt Punk hier nicht wie eine längst vergangene Jugendsünde. Für viele hier im Publikum sind vor allem die martialisch kostümierten Rumoristen von Laibach ein Begriff. 1980 noch angetreten, um eine Alternative zur slowenischen Kunst zu formulieren, sind sie heute die wohl bekannteste Band des Landes. An Laibach kommen zwar auch die Teilnehmer*innen der Diskussionsrunde „Punk in Slowenien“ nicht ganz vorbei.
Unter der Moderation von Claudia Kühn gelingt es aber, den Blick auf die zahlreichen Bands in den 1980er Jahren zu richten, deren oft noch minderjährigen Akteuren es gelang, mit einfachsten Mitteln im ehemaligen Jugoslawien auf sich aufmerksam zu machen. Punk habe die Gesellschaft verändert, da sein Tumult laut und deutlich essentielle Fragen gestellt und dem System einen Spiegel vorgehalten habe, erklärt Kurator Marko Kraševec.
Das sozialistische System unter dem Staatspräsidenten Josip Broz Tito fand eigene Methoden, um der aufmüpfigen Jugend Einhalt zu gebieten. „Als das System die Sprengkraft der Punkbewegung erkannte, gab es mitunter Repressionen“, erinnert sich der slowenische Journalist und Musikpromoter Igor Wittmar. Konzerte seien gelegentlich verboten oder polizeilich aufgelöst worden.
Kein Spucken mehr von der Bühne
Der Unterschied zur DDR sei jedoch auffällig, bestätigt Buchautor Alexander Pehlemann, unter anderem Herausgeber des Bandes „Warschauer Punk Pakt. Punk im Ostblock 1977-1989“. In der DDR gab es den sogenannten „Assiparagraphen“, Auftrittsverbote und Haftstrafen für viele Punkmusiker*innen. „Punkbands in der DDR konnten – wenn überhaupt – nur unter dem Dach der Kirche auftreten.“ Anders in Slowenien: Hier ließ sich unangepasste Jugendkultur nicht in Abseits oder Exil treiben. Von Ljubljana aus lief Punk über Radio Študent über den Äther, Reisefreiheit machte es möglich, im Ausland Platten zu kaufen und weiter zu verbreiten.
„Nevermind the Bollocks“ von den Sex Pistols nennen viele auf dem Podium als ihre erste gekaufte Platte. Der Geist war aus der (Bier-)Flasche. Eine Stimmung, die auch der Film „Jedes Kind ist schön, wenn es geboren wird“ einzufangen weiß. Er porträtiert den jungen Esad Babačić, zeigt durch die Darstellung seines Lebens und seiner Poesie auf authentische Weise den Geist der urbanen Rebellion. Szenen und Thematik des Films dienten später auch als Inspiration für slowenische Spielfilme, wie zum Beispiel „Outsider“ von Andrej Košak.
An beiden Abenden ist aber auch irgendwann Schluss mit zeithistorischen Betrachtungen: Kaum sind die Bierbänke entfernt, zieht es das Publikum auf die Tanzfläche, um mit den Bands S.O.R., Grupa 92 – die 92 verweist auf die damalige Notrufnummer der slowenischen Polizei –, Aktivna Propaganda und Niet zu feiern.
Die Bands entstanden alle in den frühen Tagen des Punk, lösten sich zwischenzeitlich auf, stehen mittlerweile aber wieder mit geänderter Besetzung auf der Bühne. Es wird nicht mehr von der Bühne gespuckt und auch die Bierdusche bleibt aus. Das Publikum geht trotzdem bei jedem Song mit. Mit BibliBan gelingt am Samstagabend auch der Brückenschlag zur jüngeren Punkgeneration Sloweniens. Im Jahr 2022 gewann die Band die Schülerliga der Musikschaffenden. 2024 veröffentlichten sie ihr Albumdebüt „Na, Na, Na, Crazy!“. Laut sein, Fragen stellen, das wollen slowenische Punks auch heute noch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert