Pulitzer-Preisträger über Ära Trump: „Der absolute Tiefpunkt“
Ronan Farrow ist Journalist und Ex-Diplomat. Über die US-Außenpolitik hat er nun ein Buch geschrieben. Was haben wir zu erwarten?
taz am wochenende: Herr Farrow, Sie beschreiben die Zerstörung des Außenministeriums in Washington. Seit Donald Trump Präsident ist, wurden das Budget, das Personal und die Außenstellen in aller Welt drastisch zusammengestrichen. Was ist das Ziel?
Ronan Farrow: Am Anfang hieß es, dass es im Außenministerium Reformen wie in der Privatwirtschaft geben würde. Dafür waren die Leute im Diplomatischen Korps aufgeschlossen. Tatsächlich kamen dann aber Kürzungen quer durch die Bank und ohne durchdachten Plan. Es ist Draufgängertum statt strategischer Behutsamkeit.
Hatte Trump seinem ersten Außenminister, Rex Tillerson, im Januar 2017 denn nicht gesagt, was er von ihm wollte?
Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit sagte mir Tillerson, dass er versucht habe, freie Stellen im Außenministerium und an der Spitze der Botschaften rund um die Welt zu besetzen. Aber das Weiße Haus, in dem selbst großes Chaos herrschte, habe das verhindert. Er sagte mir auch, dass er nicht wusste, dass es zu seinen Aufgaben zählte, mehr Ressourcen für das Außenministerium zu verlangen.
Als Tillerson im Kongress erklärte, dass er den Haushalt seines Ministeriums um fast ein Drittel kürzen wollte, haben mehrere Abgeordnete ihn vergeblich gedrängt, mehr Geld anzunehmen. Wie kann er ein Jahr danach behaupten, er habe nichts gewusst?
Mein persönlicher Eindruck von Tillerson ist, dass ihm erst in den letzten Tagen seiner kurzen Amtszeit klar wurde, wie katastrophal sie war.
Manchmal schien es, als wäre Tillerson an gewissen Brennpunkten eine mäßigende Stimme. Er wollte schon Verhandlungen mit Korea, als Trump noch mit Krieg drohte. Tillerson plädierte auch für die Verlängerung des Iran-Abkommens.
Er führte vermutlich nicht zufällig mit Exxon einen der größten Konzerne der Welt. Deshalb war seine totale Nutzlosigkeit im Außenministerium ja auch so ein Schock für viele. Was im Außenministerium passiert, ist symptomatisch für die Trump-Regierung. Sie hat ein Umfeld geschaffen, in dem es keine Zeit und keinen Raum mehr für Diplomatie gibt.
Donald Trump hat Abmachungen aufgekündigt, an deren Zustandekommen Diplomaten Jahre gearbeitet haben. Er hat internationale Organisationen verlassen. Er benimmt sich wie ein Rüpel. Muss die Welt Angst vor ihm haben?
Wenn wir uns von unseren Partnern abwenden, ist das gefährlich. Wir haben uns vom Pariser Klimaabkommen zurückgezogen, wir haben das Tauwetter in den Beziehungen mit Kuba beendet, sind aus dem Iran-Deal ausgestiegen, und wir haben uns, zumindest rhetorisch auch von Kernverpflichtungen der Nato, wie der gegenseitigen Verteidigung, abgewandt. Das sind alarmierende Zeichen für unsere Alliierten. Eine der gravierendsten Konsequenzen der Aufkündigung des Iran-Abkommens ist, dass sie einen Keil zwischen die USA und ihre Partner treibt. Das ist eine Folge dieser Diplomatie per Tweet, die die professionelle Außenpolitik in den USA ersetzt hat.
Die Alliierten der USA suchen immer noch den richtigen Ton für den Umgang mit Trump. Macron hat es mit Verführung probiert. Trudeau war auch sehr nett zu ihm. Und Merkel …
… ist griesgrämig.
30, ist Journalist, Jurist und war Diplomat. 2018 bekam er für seine Recherchen über sexuellen Missbrauch in Hollywood den Pulitzerpreis.
Gerade ist sein Buch „Das Ende der Diplomatie. Warum der Wandel der amerikanischen Außenpolitik für die Welt so gefährlich ist“ auf Deutsch erschienen. Dafür hat er alle lebenden Ex-AußenministerInnen der USA und viele DiplomatInnen interviewt.
Von 2001 bis 2009 war er Unicef-Sprecher für die Jugend. Während Obamas erster Amtszeit arbeitete er im Außenministerium unter Hillary Clinton.
Er ist der Sohn der Schauspielerin Mia Farrow, sein Vater ist Woody Allen. Oder vielleicht auch Frank Sinatra.
Auf jeden Fall sind alle abgeblitzt. Was ist der richtige Ton?
Wladimir Putin und das nordkoreanische Regime sind sehr erfolgreich. Sie schmeicheln Trumps Ego und organisieren Treffen, die zwar nicht die geringsten Resultate für Amerika oder die internationale Gemeinschaft bringen, aber an deren Ende Donald Trump wunderbare Dinge über Massenmörder sagen kann. Er feuert aus der Hüfte, und er ist empfänglich für Schmeicheleien. Ich weiß nicht, wie man das in Diplomatie übersetzen kann.
Die Zeit mit Trump könnte aber lang werden. Wie sollen die Europäer sie überbrücken?
Vielleicht sollten sie dem kanadischen Beispiel folgen. Dort gibt es ein paar kreative Lösungen, wobei Kanada direkt mit Gemeinden und Bundesstaaten in den USA zusammenarbeitet, statt über die Regierung in Washington zu gehen. Und im Fall des Iran müssen wir die Atomdrohung ohne Amerika eindämmen.
Was ändert sich mit Mike Pompeo, dem aktuellen Außenminister?
Er ist politisch erfahrener. Vielleicht wird es bald weniger Chaos und mehr Botschafter geben, die professionelle Diplomaten sind. Es bleibt aber bei der Geringschätzung der Diplomatie in der Regierung.
Trump ist nicht der erste US-Präsident, der das Außenministerium schwächt.
Nein, Bill Clinton ist dafür auch ein gutes Beispiel. Seine Regierung hat mehrere Abteilungen im Außenministerium geschlossen – darunter die für Rüstungskontrolle, die wir jetzt gut gebrauchen könnten.
Auch Barack Obama hat ganze außenpolitische Bereiche im Weißen Haus zentralisiert. Wenn sowohl demokratische als auch republikanische Präsidenten die Demontage des Außenministeriums betreiben, sagt uns das vielleicht mehr über eine Tendenz der US-Außenpolitik als über Trump?
Der Wendepunkt waren die Attentate von 9/11. Die Konsequenz ist die zunehmende Machtverlagerung auf das Militär. Wir sehen jetzt den absoluten Tiefpunkt, an dem das Militär und der nationale Sicherheitsstaat die Diplomatie bestimmen.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Die USA hatten aber auch Außenminister, die stärker für militärische Lösungen eintraten als der Verteidigungsminister und die Generäle. Hillary Clinton, die für Interventionen in Libyen und in Syrien plädierte, ist das vorerst letzte Beispiel dafür.
Der Diplomat Richard Holbrooke, der den Frieden nach Bosnien brachte und am Ende seines Lebens nach Lösungen für Afghanistan suchte, hat sich gegen diesen Trend gestemmt. Er bettelte bei Außenministerin Hillary Clinton um mehr Raum für zivile Diplomaten im Afghanistanprozess. Clinton war in diesem Fall keine leidenschaftliche Verteidigerin der Diplomatie. Bei ihr war es eine Kombination aus Prinzipien – sie ist eine Falkin – und politischer Zweckmäßigkeit. Sie war im Gleichschritt mit den Generälen.
Vielleicht gehörte Holbrooke zu einer – zumindest in den USA – vom Aussterben betroffenen Sorte von Diplomaten?
Er setzte die Tradition der Diplomaten fort, die nach dem Zweiten Weltkrieg die internationale Ordnung ausgehandelt haben. Heute sehen wir nur noch wenige davon.
Ist das ein nur US-amerikanisches Phänomen, oder gibt es Parallelen?
Die Veränderungen der Prioritäten der USA seit 9/11 betreffen auch unsere Alliierten. Aber ich sehe nicht, dass ihre Außenministerien auf dieselbe Art verkümmern.
Steckt dahinter auch ein kulturelles Phänomen? US-Amerikaner haben so gut wie keine Erfahrung mit Krieg auf ihrem eigenen Territorium. Die meisten kennen den Rest der Welt nur als Soldaten oder aus kurzen privaten Reisen. Führt die mangelnde Kenntnis fremder Länder und anderer Kulturen dazu, dass eher militärische als politische Lösungen erwogen werden?
In Wahlkämpfen erleben wir immer wieder, wie Militärs – zu Recht – als Helden gefeiert werden, während Diplomaten, die auch an gefährlichen Orten leben und versuchen, für Frieden zu sorgen, heruntergemacht werden. Es ist einfach, eine Explosion und einen Schusswechsel zu verstehen. Verhandlungen und Diplomatie sind komplizierter. Außerdem haben wir Spionageromane, aber keine Diplomatenromane. Es gibt keinen John Le Carré des Außenministeriums.
Im vergangenen halben Jahrhundert haben die USA so viele internationale Krisen generiert – von Einmischungen in Wahlen über Militärputsche bis hin zu Kriegen –, dass ihre Stärke nicht unbedingt gut für den Rest der Welt war. Wieso sollten wir uns da eine Fortsetzung der internationalen Führungsrolle der USA wünschen?
Ich plädiere nicht für eine amerikanische Vorherrschaft, sondern für die Funktionsfähigkeit Amerikas in der internationalen Gemeinschaft. Ja, es gibt amerikanische Fehltritte. Aber wenn es um eine Wahl zwischen amerikanischer, russischer und chinesischer Führung geht, dann glaube ich weiterhin an das Projekt der Wiederherstellung des amerikanischen Einflusses im diplomatischem Raum. Ich bin für eine amerikanische Präsenz in der Welt, die von Kompetenz und Behutsamkeit geprägt ist. Und die auf Gespräche statt auf Konflikte setzt.
Warum haben Sie selbst die Diplomatie so schnell wieder verlassen?
Nach meinen Erfahrungen in Afghanistan und im Nahen Osten war ich ernüchtert. Ich bin einerseits stolz auf die amerikanische Diplomatie, andererseits enttäuscht. Aus diesem Gefühl heraus ist mein Buch entstanden.
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