■ Auf du und du mit Fahrradkomfort: Pufferzone für den Po
Hundert Jahre lang kamen Fahrräder aller Länder fast ungefedert daher. Welche Härte, fällt jetzt endlich der Fahrradbranche auf. Nun beabsichtigt sie, auch die Alltagsradler aufs vollgefederte Velo zu setzen.
„Fullsuspension-Bikes“ – für viele Mountainbiker und Downhiller eigentlich schon ein alter Hut. Bereits seit zwei, drei Jahren versuchen sie, die herben Schläge und Stöße, denen man auf Geröllhalden nun mal ausgesetzt ist, durch Federgabeln und Federelemente am Hinterbau abzudämpfen. Die Kamikaze-Biker diskutieren allenfalls, ob die vordere Federung nicht genüge und man es hinten beim „Hardtail“ belassen sollte.
Die AlltagsradlerIn hat diese Erörterungen bisher wenig gekümmert. Zwar flucht sie häufig übers Kopfsteinpflaster, meint aber, mit der Luft im Reifen, der Elastizität des Rahmenmaterials und vielleicht noch den Federn unter der Satteldecke das Optimum an Fahrkomfort erreicht zu haben.
Falsch, sagt Eric Groß von der TU Hamburg-Harburg. Wer dieser „Minimalfederung“ vertraue, besonders als Vielfahrer im Stadtverkehr, habe „mit großer Wahrscheinlichkeit mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu rechnen“. Etwa mit Schäden an den Gelenken und der Wirbelsäule, aber auch mit Durchblutungsstörungen. Schuld seien die Schwingungen, die von welliger Fahrbahn verursacht und über Lenkergriffe und Sattel auf den Körper übertragen werden. In einer vergleichenden Untersuchung hat Groß „Hand-Arm-Schwingungen“ und „Ganzkörperschwingungen“ gemessen, sowohl an ungefederten MTBs als auch an vollgefederten.
Mitte Februar stellte der Wissenschaftler auf einem Fahrradkongreß in Bremen (taz vom 19. 2.) Herstellern und Händlern seine Ergebnisse vor. Was Groß über die neuen gefederten Typen referierte, ließ ihre Augen leuchten: Fullies machen einen Großteil der Schwingungen unschädlich, erhöhen gerade auf Großstadtpflaster den Fahrkomfort beträchtlich. „Lassen Sie einen Kunden auf einem vollgefederten Fahrrad probefahren, und er wird nie wieder auf den Komfort verzichten wollen.“
Die unter Umsatzeinbußen leidende Fahrradbranche dürstet nach derartigen Aufmunterungen. Dieses Jahr versucht sie es auch beim Citybike mit Federmodellen, aber noch etwas zögerlich. Auch sind nicht alle Stadt-Fullies vollgefedert, an manchen fungieren lediglich Zugfedern oder Öldruckdämpfer am Hinterbau als Schwingungskiller. Die seltsamen Boliden dagegen, bei denen die FahrerIn auf einer hydraulisch abgespannten Schwinge hockt, sind unter den Stadträdern noch die Ausnahme. Doch die Trendsetter der Branche sehen in diesen futuristischen Fullies das Rad der Zukunft – schließlich ist ja nun auch wissenschaftlich belegt, was die Kundschaft braucht. Helmut Dachale
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