Publizist Roger Willemsen ist tot: Der Mann des Bildungsfernsehens
Er war der belesenste TV-Moderator der letzten 20 Jahre, ein Idol des Bildungsbürgertums. Am Sonntag ist Roger Willemsen gestorben.
So schrieb er denn zur Show „Germany‘s Next Top-Model“ und ihrer Präzeptorin Heidi Klum:
„Eine unschöne Frau mit laubgesägtem Gouvernanten-Profil bringt kleine Mädchen zum Weinen, indem sie ihre orthodoxe, hochgerüstete Belanglosigkeit zum Maßstab humaner Seinserfüllung hochschwindelt, über ‚Persönlichkeit‘ redet, sich aber kaum mehr erinnern kann, was das ist, und sollte diese je zum Vorschein kommen, sie mit Rauswurf bestraft. Der Exzess der Nichtigkeit aber erreicht seinen Höhepunkt, wo Heidi Nazionale mit Knallchargen-Pathos und einer Pause, in der man die Leere ihres Kopfes wabern hört, ihre gestrenge ‚Entscheidung‘ mitteilt, und wertes von unwertem Leben scheidet. Da möchte man dann elegant und stilsicher, wie der Dichter sagt, sechs Sorten Scheiße aus ihr rausprügeln – wenn es bloß nicht so frauenfeindlich wäre.“
Die Passage sei hier in Gänze zitiert, kein Wort ist überflüssig – auch wenn die leicht dünkelhafte Allüre, die dem Mann des Bildungsbürgertums ja immer eigen war, im Verhältnis zur Trashkultur immer etwas zu mokant, zu selbstsicher, zu gewiss in eigener (Klassen-)Sache wirkte.
Es ist traurig und wahr zugleich, denn Roger Willemsen, der belesenste unter allen TV-Figuren der vergangenen 20 Jahre, der Mann der Literatur, des Talks und der elaborierten Auseinandersetzung auf beinahe allen Quatschsofas der Republik, kann bei der nächsten Staffel der Heidi-Klum-Dressur- und Zuchtshow nicht mehr zugucken – lebte er aber, dürfte er ein wenig seufzen, denn nichts scheint sich an dem Befund zu dieser dunklen Meisterin der Körperformatierung geändert zu haben. Willemsen, erschütternd junge 60 Jahre alt erst, ist gestern an den Folgen seiner Krebserkrankung gestorben.
Niemand hatte so interessante Gäste
Er kam in die deutsche Öffentlichkeit zufällig – der Autor des irgendwie Marxistische-Gruppe-Sound-geprägten Buches „Kopf oder Adler“ (1990), ein jugendliches Statement gegen die entsetzliche Welt der deutschen Wendezeit, gegen miese Kleinbürger und geschmacklose Geilheit auf die D-Mark, auf schmutzige Polithälse und schmierige Politiken war nicht die erste Wahl, als der Privatsender „Premiere“ 1991 die Talkshow „0137“ ins Leben rief.
Willemsen freilich, ein Mann mit Interesse für Themen wie die Abruzzen, Audrey Hepburn, Robert Musil, Giacomo Casanova, nutzte diesen steten Zweiertalk, gehalten in einem kühlen, fast undekorierten Studio zu Sternstunden der Sprech- und Fragekunst. Niemand hatte so illustre, interessante Gäste: Exgefangene der RAF, Jassir Arafat, einen entflohenen Bankräuber, die Frau vom „Frühstück bei Tiffany“.
Klar, dafür bekam er die einschlägigen Branchenpreise. Und schließlich die Gunst des ZDF, bei dem er seinen Talk fortsetzte. Seine Gäste waren durch die Bank keine unterschichtskompatiblen Zeitgenoss*innen, sondern Leute, die auch den abituriellen Zirkeln der Republik mundeten. Willemsen war ein Idol der bildungsbürgerlichen Kreise, er schaffte es, diesen das Gefühl zu geben, Fernsehen könne ein Medium des gehobenen Anspruchs und des guten Geschmacks sein.
Viel Lob, auch falsches
Dem Fernsehen war er, ob beim schweizerischen SRG oder dem WDR für eine Literatursendung, immer treu. In den vergangenen Jahren war Willemsen mehr schreibend tätig. Erhielt auch viel Lob, gelegentlich auch falsches. 2006 veröffentliche er seine „Afghanische Reise“, 2009 „Bangkok Noir“, vor vier Jahren „Momentum“ und 2013 „Es war einmal oder nicht – Afghanische Kinder und ihre Welt“.
Bücher, die allesamt die Horizonte eröffneten, die er noch in „Kopf oder Adler“ verspottete: Geschrieben jetzt für Menschen, für die Weltläufigkeit ein Must ist und Provinzialität ein Graus, solche also, die auf den Treibstoff der entgrenzten Welt, den Modus der Kritik an allem, viel gaben.
Willemsen gab all seinen Leser*innen – vor allem solchen weiblichen Geschlechts – das Gefühl, sie zu verstehen, ihre Sorgen, Nöte und helfenden Bedürfnisse. Das fragwürdige Buch „Das Hohe Haus: Ein Jahr im Parlament“ enthüllte freilich eine immer leicht übersehene Seite dieses Stilisten und Künstlers in allen Deutungsdisziplinen. Sein Ressentiment verfahrenstechnischen Abläufen gegenüber. Im Bundestag als oberflächelnder Beobachter wollte er die große Politoperette erkennen – und ward enttäuscht, weil er das Bohren dicker Bretter für abstoßend hielt.
Willemsen wusste viel zu lesen. Und zu schenken. Der taz eben diese kleine feine Sottise gegen den Wahn, dass nur weibliche Hungerhaken okay seien. Dass er deren erbarmungsloser Zuchtmeisterin tüchtig einen überbügelte, wird auf ewig bleiben.
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