Public Viewing in Eupen: Trikolore bis auf die Glatze
Der öffentlichste Geheimfavorit ist ins Turnier eingestiegen. Im deutschsprachigen Belgien ist die Hölle los – wie seit 1986 nicht mehr.
EUPEN taz | Daniëlle Fatzaun hat es auf Kevin De Bruyne abgesehen. „Kevin, ich will ein Tor von Dir“, hat sie in breiten schwarzen Lettern über den Bauch ihres Trikots gemalt. Eine halbe Stunde vor Anpfiff betritt sie mit Roland, ihrem Mann, und der 12-jährigen Tochter Alice das abgezäunte Areal im Zentrum von Eupen, der winzigen Hauptstadt der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Ostbelgien. Zum ersten Mal in der Stadtgeschichte wird hier ein WM-Spiel öffentlich gezeigt, auf 28 Quadratmetern Leinwand.
Tore sollen es also sein diesmal, Kinder haben Daniëlle und Roland ja schon zwei. Seit ihre Tochter geboren wurde, haben sich die Roten Teufel für kein Turnier mehr qualifiziert. Darum schaut Alice auch mit grossen Augen, als ihre Eltern von dieser Nacht erzählen, 1986, als die Belgier gegen die Sowjetunion gewannen. „In der Stadt war die Hölle los” – schwer vorstellbar in dem beschaulichen Örtchen mit den niedrigen Häusern – „wir machten durch und fuhren gleich ins Büro.”
Nun also soll sich also die Goldene Generation des belgischen Fussbalss anschicken, diese unselige Pausentaste endlich zu lösen. Ein neues Selbstbewusstsein hat sich breit gemacht, nie zuvor gab es in Belgien einen Run auf Fanartikel der Diables Rouges oder Rode Duivels. Auch in Ostbelgien: Das lokale Leitmedium Grenzecho zitiert heute einen Sportladen-Inhaber: „So etwas habe ich in den 32 Jahren, seitdem dieses Geschäft besteht, noch nicht erlebt.“
Und so trägt Eupen beinahe flächendeckend die Trikolore, im Gesicht, um die Schultern gehangen, auf der Glatze, in der Perücke, die an den legendären Afro von Marouane Fellaini referiert. Nur: Der Geheimfavorit, der längst keiner ist, lässt es verhalten angehen. Läuft fast eine Halbzeit sogar dem Elfmetertor der Algerier hinterher. Die Zuversicht in der Pause ist still, aber ungebrochen.
Als Perücken- Modell Fellaini endlich einnetzt, beginnt der kleine Platz zu wogen. Trashige Kirmesbeats, allez les belges, von vorne, wo die Kinder stehen, kommen Seifenblasen, hinten gehört das Terrain den Bratschwaden vom Halal-Burger- Stand. Gleich darauf sorgt Dries Mertens’ 2:1 für die zweite Eruption. Und Kevin hat Daniëlle zwar kein Tor geschenkt, aber mit zwei Vorlagen kann sie für heute gut leben.
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