piwik no script img

Public Relations im AusnahmezustandDer Fall der Fälle

Abstürze, Unfälle, Erpressungen: Konzerne bereiten sich mit Krisentrainings auf Katastrophen vor, um im Notfall schnell reagieren zu können.

Die Lufthansa-Chefs bei einer symbolischen Geste der Trauer. Bild: reuters

Journalisten, die sich als Reinigungskräfte ausgeben, um in eine Firmenzentrale einzudringen – für Heinz-Joachim Schöttes war das lange allenfalls Stoff für einen Spielfilm. Inzwischen weiß er: Solche Methoden sind keine Fiktion, sondern Realität.

Schöttes war lange selbst Journalist, etwa bei der Nachrichtenagentur dpa, bei der Welt und zuletzt als Mitglied der Chefredaktion beim Kölner Stadt-Anzeiger. Als die Lufthansa 2002 ihren Ableger Germanwings gründete, übernahm er die Kommunikation. Seit dem Absturz des Airbus, der als Flug 4U9525 auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf war, sieht der 56-Jähre seinen früheren Berufsstand mit neuen Augen. „Der Großteil der hiesigen Journalisten hält sich – Gott sei Dank – an die Spielregeln“, sagt er.

Vor allem angelsächsische Medien seien hingegen „forscher – nicht unbedingt in ihren Berichten, aber bei ihren Recherchen“. Schöttes sagt, er wolle nicht zu sehr ins Detail gehen, nur so viel: „Sogar Bild war im Verhältnis dazu noch zurückhaltend.“ Schöttes hatte sich mit seinen Leuten auf den Ernstfall vorbereitet. Unternehmen spielen in sogenannten Krisenkommunikationstrainings Szenarien durch, damit im Falle des Falles die Abläufe sitzen.

Der Autor dieser Zeilen hat etwa einst als Student an einer Schulung bei einem Molkereiunternehmen mitgewirkt. Seine Rolle: ein RTL-Reporter. In diesem Szenario wurde die Firma erpresst. Einige Statisten riefen – europaweit – bei den Hotlines an. Ihnen sei nach dem Verzehr eines Shakes übel geworden. Der Job des Reporters: Mit seinem Kamerateam auf ein Werksgelände vorstoßen; jeden Mitarbeiter ausquetschen, der ihm über den Weg läuft; nachsehen, wie weit die Kamera kommt.

taz. am wochenende

Wie verarbeiten Kinder den Krieg? Dass Freunde gehen, weil sie für die andere Seite sind? Dass Verwandte sterben? Im Osten der Ukraine bringen Schüler ihr Leben auf die Bühne. Eine Reportage in der taz.am wochenende vom 16./17. Mai 2015. Außerdem: Seit über 20 Jahren hört Radiomoderator Jürgen Domian den Menschen der Nacht zu. Er spricht mit Mördern, Nonnen und Frauen aus dem Wald. Bald will er aufhören. Ein Gespräch Und: Wie Millionäre mit dem eigenen Boot Flüchtlinge retten. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Für PR-Agenturen gehört Krisenkommunikation zum Repertoire. Eine Schweizer Agentur schult Fluggesellschaften mit ausgeklügelten Szenarien, vom Zusammenprall einer Maschine mit einem Tankwagen über den Rauch, der vom Cockpit in die Kabine strömt, bis zum Absturz.

Trainings als Großeinsatz

Das Drehbuch eskaliert Schritt für Schritt und sorgt dafür, dass der eigenen Leitstelle eines Konzerns andere Informationen vorliegen als Behörden oder Medien. Alle machen Druck, intern wie extern, Konzernchefs wie Öffentlichkeit. Trainings dauern schon mal mehrere Tage, binden große Teile der Belegschaft ein und mitunter sogar Polizei und Feuerwehr, die sich schließlich ebenfalls auf Großlagen vorbereiten wollen.

„Natürlich wissen die Teilnehmer, dass sie sich in einer Simulation befinden“, erklärt Dirk Popp von der Agentur Ketchum Pleon. „Nach ungefähr drei bis fünf Minuten denkt man aber, dass das real ist.“ Popps 350 Mitarbeiter beraten an sechs Standorten in Deutschland Unternehmen und Behörden – in Sachen Werbung und im Umgang mit Problemen.

Popp erzählt, dass neben Erpressungen und Unglücken auch alltägliche Probleme Teil der Szenarien sind: Mitarbeiter, die Zutaten falsch dosieren, oder Fehler beim Transport. „Wenn jemand die Kühlkette nicht einhält, kann auch ein menschlicher Fehler schnell große Folgen haben“, sagt Popp. Krisentrainings seien deshalb bei Konzernen ebenso gefragt wie bei mittelständischen Unternehmen.

Viele trainieren dabei allerdings Krisen, die nur auf Papier existieren. Auch wenn er darauf natürlich am Liebsten verzichtet hätte: Germanwings-Mann Schöttes kennt seit dem 24. März den Ernstfall.

Nicht immer nach Plan

Die Trainings hätten durchaus geholfen, vor allem die Checklisten, die mit jeder Übung ständig verbessert werden. „Die Übungen geben jedem Mitarbeiter ein gewisses Korsett“, sagt Schöttes. „Sie wissen, was sie tun müssen, können funktionieren und reagieren und damit nicht zuletzt auch die Schockstarre überwinden, in die sie die Nachricht eines Unglücks erst mal bringt.“

Praktisch heißt das: Niemand musste mehr darüber nachdenken, wie und wo eine Pressekonferenz organisiert wird und welche Technik es dafür braucht. Und auch die Abläufe vor Ort standen schon lange vor dem Absturz fest: „Wir wussten, dass wir durch einen Hintereingang reingeführt werden“, berichtet Schöttes, „Und wir wussten, dass wir direkt nach der Pressekonferenz auch wieder abgeholt werden.“

Wenn Theorie auf Praxis trifft, läuft dennoch nicht alles nach Plan. Bei Germanwings war etwa die Infrastruktur überlastet, darunter auch die Telefone. „Es ging nur um ein paar Minuten“, sagt Schöttes, „aber die sind in so einem Moment eben auch entscheidend.“ Einzelne Mitarbeiter wurden ad hoc zu Boten, die durch die Konzernzentrale flitzten, um Nachrichten dann eben physisch zu überbringen – analog statt digital.

Letztlich hat der Kommunikationschef die Zeit als „Belagerungszustand“ empfunden. „Journalisten haben versucht, über Facebook Kontakt zu Crew-Mitarbeitern aufzunehmen“, berichtet Schöttes. Er selbst sei gefragt worden, ob er mal eben vertraulich die Passagierliste der Unglücksmaschine rüberschieben könne, und das „nicht von Boulevardjournalisten“.

Wenn sich seine Leute regeneriert haben, will Schöttes wieder einen Krisenfall trainieren, jetzt aber mit aktualisiertem Handbuch. Ein neuer Punkt in den Checklisten wird sein, dass bei einer Lage geprüft wird, ob das Bordmagazin in den Maschinen entfernt werden sollte, in dem Reisen stets ein großer Spaß ist: „Das hat von der Tonalität nicht mehr gepasst.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!