Psychisch Kranker in Bremen vor Gericht: Die hilflose Uni

Herr T. ist des Mordversuchs angeklagt. Es ist die Geschichte eines psychisch Kranken, der sich gemobbt fühlt – und eines überforderten Arbeitgebers.

Landgericht in der Messehalle

In der Ferne tagt pandemiegerecht das Landgericht in der Messehalle Foto: Jan Zier

BREMEN taz | Für die Staatsanwaltschaft war es ein heimtückischer Mordversuch, im Zustand „erheblich verminderter Schuldfähigkeit“. Heinz-Dieter T. hingegen sagt, er habe auf sein Schicksal aufmerksam machen wollen, weil er sich „einsam“ fühlte und von der Gesellschaft „ausgestoßen“. Und weil der 64-jährige „keine Perspektiven“ mehr für sich sah. Nicht im Leben und nicht an der Universität Bremen, bei der er so viele Jahre lang als Haushandwerker tätig war. Dass es am Ende gerade der Kollege L. war, den er an diesem Julimorgen des vergangenen Jahres mit einer Eisenstange angreift, niederschlägt und mit einem Beil in der Hand verfolgt – das war schon ein bisschen Zufall. Es hätte auch andere Kol­le­g:in­nen treffen können.

Herr L. hat „Todesangst“, als er, vor der kaputten Lüftungsanlage in NW 2 stehend, in das „hassverzerrte Gesicht“ des Kollegen T. blickt, von dem er bis heute stets als Heinz-Dieter spricht. Dieser hatte zuvor den Apparat lahmgelegt, wohl wissend, dass dann gleich jemand vom Team würde kommen müssen. Jurist:in­nen nennen das „heimtückisch“.

Er habe L. in diesem Moment nicht „töten oder gar ermorden wollen“, lässt Heinz-Dieter T. zu Prozessbeginn vor dem in der Messehalle tagenden Landgericht durch seinen Anwalt erklären. Viel mehr habe er ihn nur „zur Rede stellen wollen“. Aus dem Gespräch wird nichts: Als die beiden sich erstmals nach über zwei Jahren sehen, am Tag der Tat, schreit ihn L. nur an: „Was tust du?“ Doch T. antwortet nicht. Er kommt von hinten aus dem Halbdunkel, trifft Kopf, Schulter und Arm des Kollegen mit einer herumliegenden Eisenstange, ehe das Opfer fliehen und nach filmreifen Verfolgungsszenen schließlich erfolgreich entkommen kann.

Die Tat hat eine lange Vorgeschichte, das wird gleich zu Beginn des Verfahrens auf beiden Seiten deutlich. Und die Universität, auch das wird deutlich, kennt diese Vorgeschichte. Doch die Sache versandet über all die Jahre immer wieder, staut sich auf, und am Ende kann die Uni, kann der Arbeitgeber weder Täter noch Opfer helfen.

Heinz-Dieter T., gelernter Industriemechaniker, kommt Mitte der 90er-Jahre über ein Praktikum an die Uni. Seit 1997 ist er unbefristet fest angestellt gewesen. „Er hatte früh Schwierigkeiten, sich sozial zu integrieren und Beziehungen aufzubauen“, sagt sein Anwalt über ihn. Als er bei der Uni anfängt, gilt er ob seiner schweren Depression zu 60 Prozent als schwerbehindert. Und doch fühlte er sich, als er diesen Job hatte, „richtig wohl“, sagt sein Anwalt.

Immer wieder ist von Mobbing die Rede

Das ändert sich, als zehn Jahre später sein Chef und Förderer in Rente geht. Dann beginnen die „Auffälligkeiten“, wie der Verteidiger das nennt, der von „Mobbing“ spricht, und von Versuchen der Kolleg:innen, T. „verächtlich“ zu machen. Einmal – Ende der Nullerjahre war das – drückt der einem Kollegen sein Nutella-Brötchen ins Gesicht. Der soll ihn „geärgert“ haben, wie L. das nennt, und immer wieder mit dem falschen Namen angeredet haben. Doch, es kam schon „immer wieder“ vor, dass die Kol­le­g:in­nen „nicht so nett“ zu T. gewesen seien.

Auch zwischen ihm und L. kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Der Angeklagte sei als „grundlos aggressiv“ dargestellt und „angeschwärzt“ worden, sagt sein Verteidiger. T. sei „auffällig schnell aufbrausend“, sagt hingegen L., der erzählt, wie er vom Kollegen als „hinterfotziger Lügner“ beschimpft und über den Flur hinweg angeschrien, des Mobbings bezichtigt wurde. Und so weiter. Nicht immer gibt es Zeug:innen. Vieles landet deshalb erst gar nicht in den Akten.

Irgendwann strengt L. sogar ein Mobbing-Verfahren gegen sich selbst an, doch das läuft „holprig“, so seine Einschätzung. Ein halbes Jahr „passiert gar nichts“, sagt er im Zeugenstand, am Ende steht eine Aufforderung. Die verhallt. Auch der Integrationsfachdienst wird wiederholt eingeschaltet, dann bessert sich die Lage kurz, auch zu einem Analytiker geht T., seiner Ängste wegen, doch der kann ihm nicht helfen, sagt der Anwalt. Und als er 2015 mit seinem Stiefsohn bricht, „eskaliert“ die Lage auch beruflich, seine Hoffnung auf einen „unauffälligen Berufsalltag“ an der Uni schwindet immer mehr. Dann wird T. für sehr lange Zeit krankgeschrieben. Am Ende habe er sich in einer „verzweifelten und ausweglosen Lage gesehen“, sagt sein Anwalt. Am Tattag packt er Schlinge, Messer, Beil, Medikamente und eine Sprühdose ein, um „Mobbing“ an die Uni zu sprühen und sich zu suizidieren – so schildert es sein Verteidiger.

Das Opfer, zugleich Nebenkläger, trägt eine Platzwunde, Prellungen und Hämatome davon, bekommt Albträume, Konzentrationsschwächen und kann bis heute nicht wieder alleine an Lüftungsanlagen arbeiten. Er ist in psychologischer Behandlung, doch das „Gleichgewicht der Familie“ sei gestört, und weder von der Krankenkasse noch von der Berufsgenossenschaft gebe es Hilfe für die Familie, klagt der 51-Jährige.

Von der Uni aber auch nicht. Die habe ihren Mit­ar­bei­te­r:in­nen mit Verweis auf den Datenschutz „kein Wissen und keine Handhabe“ zum Umgang mit der Erkrankung von Heinz-Dieter T. vermittelt, sagt L. Auch dessen Be­treue­r:in­nen hätten immer wieder gefehlt. Stattdessen hätten die Kol­le­g:in­nen „Angst“ vor ihm gehabt. Und wie reagierte die Uni? „Wir wurden alleine gelassen“, sagt Herr L.

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