Prozess zum „Tiergartenmord“: Welcher Vadim war es?
Zum Auftakt des Berliner „Tiergartenmord“-Prozesses schweigt der Angeklagte. Die Bundesanwaltschaft sieht russische Staatsstellen hinter der Tat.
Es ist ein komplizierter Fall. Schon wer sich eigentlich da vor dem für Staatschutzsachen zuständigen 2. Strafsenat zu verantworten hat, ist umstritten. Die Bundesanwaltschaft ist überzeugt davon, Vadim Nikolajewitsch Krasikov angeklagt zu haben, geboren am 10. August 1965 in der Region Chimketskiy in Kasachstan. Der Angeklagte bestreitet das. „Ich heiße Vadim Andreevich Sokolov“, gibt er in einer kurzen, von seiner Verteidigung verlesenen Erklärung zu Protokoll. Geboren worden sei er am 20. August 1970 im sibirischen Irkutsk.
Es könne sein, „dass ich mal den einen, mal den anderen Namen gebrauche“, sagt der Vorsitzende Richter Olaf Arnoldi. „Das zeigt, dass ich nicht festgelegt bin.“
Unstrittig ist immerhin, was am 23. August 2019 in der Parkanlage Kleiner Tiergarten in Berlin-Moabit passiert ist: Um kurz vor 12 Uhr näherte sich ein Mann auf einem Fahrrad von hinten dem Asylbewerber Selimchan Changoschwili, einem Georgier tschetschenischer Abstammung. Als er ihn erreicht hatte, schoss der Mann mit einer schallgedämpften 9-mm-Pistole des Typs „Glock 26“ seitlich in den Oberkörper Changoschwilis.
„Verwendung“ als Auftragskiller?
Doch der erste Schuss verletzt ihn nur. Der Täter schoss noch zweimal, jetzt in den Kopf seines auf dem Boden liegenden Opfers. In der von Bundesanwalt Ronald Georg verlesenen Anklageschrift heißt es dazu, die beiden Kopfschüsse hätten „zur Zerstörung zentraler vitaler Strukturen und dadurch zu einem sofortigen Regulationsversagen“ geführt – eine schrecklich bürokratische Beschreibung für das Sterben eines Menschen.
Kurz nach der Tat wurde Krasikov alias Sokolov festgenommen. Die Polizei war von zwei Jugendlichen alarmiert worden, die beobachtet hatten, wie er sich in einem Gebüsch unweit des Tatortes umgezogen und anschließend ein Fahrrad, eine Perücke, Kleidung und einen Beutel in die Spree geworfen hatte. In dem Beutel befand sich die Tatwaffe.
Welche Identität der Angeklagte besitzt, ist für die Frage, ob er den ihm zur Last gelegten Mord begangen hat, ohne Belang. Für die Suche nach dem Motiv und möglichen Hintermännern ist sie jedoch von zentraler Bedeutung. Denn anders als der vermeintlich unbescholtene Bauingenieur Sokolov ist Krasikov einschlägig aktenkundig: Die russischen Behörden suchten per internationalem Haftbefehl nach ihm wegen eines 2013 begangenen Mordes, der dem in Berlin verübten stark ähnelt.
Doch 2015 löschten sie ohne Begründung die Fahndungsmitteilung – möglicherweise, weil für ihn eine Verwendung gefunden wurde. Davon geht jedenfalls die Bundesanwaltschaft aus.
Keine Regung
Das Berliner Kammergericht grenzt an den Kleinen Tiergarten, ist also nur wenige hundert Meter vom Tatort entfernt. Bei der Tat habe es sich „nach unseren Erkenntnissen um einen Auftragsmord staatlicher russischer Stellen“ gehandelt, sagte Bundesanwalt Georg.
Der Angeklagte habe den Tötungsauftrag ausgeführt, „entweder, um eine in ihrer Höhe nicht bekannte finanzielle Entlohnung zu erhalten“, oder weil er das Motiv seiner Auftraggeber geteilt habe, mit Changoschwili „einen politischen Gegner zu liquidieren, um Vergeltung für seine Rolle im zweiten Tschetschenienkrieg und dessen Beteiligung an weiteren bewaffneten Auseinandersetzungen mit der Russischen Föderation zu üben“.
Die Anklageverlesung im Hochsicherheitssaal 700 verfolgte Krasikov alias Sokolov ohne sichtbare Regung. Zu den Vorwürfen schwieg er. Sein Mandant werde sich derzeit „nicht zur Sache einlassen“, sagte Robert Unger, einer der drei Verteidiger. Der Prozess ist erst einmal auf 25 Verhandlungstage angesetzt.
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