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Prozess zu Mannheimer MesserangriffWas radikalisierte Sulaiman A.?

Im Fall des Mannheimer Messerangriffs vom vergangenen Mai beginnt nun der Prozess. Das Verfahren soll auch klären, was den Attentäter antrieb.

Der Mannheimer Marktplatz am 12. Februar nach der Messerattacke Foto: Bernd Weißbrod/dpa

Karlsruhe taz | Die Tat und ihre Bilder schockierten Deutschland. Eine wackelige Handykamera zeigt, wie ein bärtiger Mann mit Brille auf dem Mannheimer Marktplatz blitzschnell auf den Anti-Islam-Aktivisten Michael Stürzenberger einsticht. Im anschließenden Handgemenge verletzt der Angreifer weitere Menschen mit einem großen Jagdmesser. Als ein Polizist eingreift, sticht der Täter ihm in den Kopf. Erst ein Schuss eines weiteren Beamten setzt den Angreifer außer Gefecht. Der schwer verletzte Polizist Rouven Lauer stirbt einen Tag später.

Am heutigen Donnerstag beginnt nun der Prozess gegen den mutmaßlichen Attentäter Sulaiman A. vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart. Das Verfahren findet unter strengen Sicherheitsvorkehrungen im Gerichtsgebäude in Stuttgart-Stammheim statt. Die Bundesanwaltschaft übernahm das Verfahren, da A. Sympathien für die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) gehegt und ihre Ideologie geteilt haben soll. Laut Anklage plante er ab Mai 2024 einen Anschlag auf vermeintlich Ungläubige in Deutschland. Hinweise auf Mittäter gibt es bislang nicht.

Das Verfahren könnte klären, wie sich der zur Tatzeit 25-jährige Afghane radikalisierte. A. war 2013 mit seinem Bruder aus seiner Heimatstadt Herat geflohen. Nach Recherchen des Spiegels erhielt er in Deutschland zwar kein Asyl, durfte aber wegen eines Abschiebeverbots bleiben. Er lernte Deutsch, machte erst den Hauptschulabschluss, dann den Realschulabschluss an der Abendschule, trainierte erfolgreich Taek­wondo und arbeitete ehrenamtlich in der Flüchtlingsbetreuung. 2019 heiratete er eine Deutsche mit türkischen Wurzeln. Das Paar bekam zwei Kinder, doch beruflich fand Sulaiman A. keinen Halt.

Spätestens ab 2023 radikalisierte er sich offenbar über Telegram-Chats und islamistische Predigten im Internet. Eine entscheidende Rolle bei seiner Radikalisierung sollen auch die Bilder des US-Abzugs aus Afghanistan gespielt haben. Trotzdem entging Sulaiman A. offenbar der Überwachung internationaler Geheimdienste. Deutsche Behörden führten ihn nicht als Gefährder.

Dem Täter droht eine lebenslange Haft

Der Prozess soll auch klären, wie der rechtsextreme Aktivist Michael Stürzenberger und seine Organisation Pax Europa, die vom Verfassungsschutz als islamfeindlich beobachtet wird, ins Visier von A. gerieten. Stürzenberger, der in Mannheim sprechen wollte, wurde ebenso wie weitere seiner Anhänger schwer verletzt.

Die Tat in Mannheim wird heute in der Debatte um schärfere Einreiseregeln in einem Atemzug mit Verbrechen ausländischer Straftäter in Solingen, Magdeburg und zuletzt Aschaffenburg genannt. Tagelang bewegte sie Deutschland im Frühsommer. Polizeibeamte gedachten bundesweit ihrem getöteten Kollegen. Laur galt als Beamter, der sich mit dem Thema Integration konstruktiv auseinandergesetzt hat und zur besseren Verständigung im multikulturell geprägten Mannheim Arabisch lernte.

Der Marktplatz von Mannheim, Schauplatz des Verbrechens, wurde von Bürgern zeitweise in Rouven-Laur-Platz umbenannt. An Gedenkveranstaltungen nahmen tausende Bürger und auch der Bundespräsident teil. Die Stadt Mannheim setzte vor Gericht durch, dass der Platz in der darauf folgenden Woche als Gedenkort ausgewiesen wurde, wo politische Kundgebungen verboten blieben. Eine Klage der AfD dagegen scheiterte.

Im Falle einer Verurteilung drohen Sulaiman A. lebenslange Haft und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, die eine Entlassung nach 15 Jahren ausschließt. Der Prozess ist bis Herbst terminiert.

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7 Kommentare

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  • Dieses Grauen wäre vermeidbar gewesen.



    Taten wie diese, und dazu eine total destruktive Zusammenarbeit der Parteien, mehr von Parteikampf als in der Sache motiviert, haben auch dazu geführt, dass die AfD mit 20% und mehr in den nächsten Bundestag kommen wird.



    Es wird endlich Zweit, dass die großen Parteien ohne Polemik und nur dem Blick auf eigene Interessen, eine gemeinsame Lösung finden, welche dem Asylrecht und der Mehrheit des Volkes gerecht wird. Sonst reden wir in 4 Jahren von 30-40% AfD-Wählern. Muss es erst so weit kommen?

    • @Hans Dampf:

      Wie wäre das denn vermeidbar gewesen? Bitte, erklären Sie es ausführlich!

      Sie sehen die Schuld also bei den destruktiven Parteien?



      Vielleicht können Sie sich zumindest zu einer Teilschuld der Täter hinreißen lassen?







      Zuerst das Asylrecht nennen und dann die Mehrheit der Bevölkerung?

      Die Täter - heute in München Kindergärtnerinnen und Kleikinder!!! - sind doch feige, hinterhältig und grausam?



      Aus meiner Sicht ist das gewollter Terror! Destabilisierung.

      Sie wollen noch "Integrationsarbeit von Inländern" einfordern?



      Merken Sie nicht, dass Sie die Stimmung damit noch weiter in die falsche Richtung schieben.

      Es wäre dringend erforderlich, dass Mitmenschen, die hier leben und mitbekommen, dass Menschen sich zB auf Plattformen radikalisieren, Hinweise an Behörden geben!



      So kann man solche Taten ggf. etwas reduzieren.

      • @Ansu:

        " ......falsche Richtung lenken "



        Wie jetzt ?



        Haben die Anschläge der Afghanen nix mit unser Außenpolitik bezüglich Afghanistans keinen Zusammenhang ? Axo - na denn...

  • „ Im Falle einer Verurteilung drohen Sulaiman A. lebenslange Haft und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, die eine Entlassung nach 15 Jahren ausschließt. Der Prozess ist bis Herbst terminiert.“

    Lebenslange Haft ja, ist mindestens ab Mord das einzig anzuwenden der Strafmaß. Was die Schwere der Schuld angeht, kenne ich ganz andere Verbrechen bei den eben dieses nicht festgestellt wurde, da es im Ermessen des Richters liegt. Daher finde ich es spannend das hier im Artikel das schon als Fakt berichtet wird. Es sei denn, man geht mittlerweile davon aus, dass die Herkunft des Täters für die Feststellung der Schwere der Schuld auch schon ausreicht.



    Das ansonsten Kriminalität nur noch rassistisch thematisiert, wird ist ja schon etabliert und daily business (schließlich haben Biodeutsche das Hausrecht für Verbrechen)

    • @Edda:

      Die intendierte Lesart mag sein, dass im Falle einer Verurteilung die Anordnung einer Sicherungsverwahrung möglicherweise folgen kann. Also als Möglichkeit "droht", nicht als notwendige Folge. HTH

    • @Edda:

      Das entscheidende Wort hier ist "drohen". Im Artikel wird als nichts vorab festgelegt, sondern lediglich aufgezeigt was den Täter im für ihn ungünstigsten Fall erwarten könnte. Zur Empörung über vermeintlichen Rassismus gibt es daher keinen Anlass; vielmehr wirkt es gewollt und kontextlos.

      • @Fran Zose:

        Richtig, ganz bei Ihnen - es gibt keinen plausiblen Grund für Rassismus - außer er wäre politisch gewollt....