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Prozess wegen VerhütungspilleGericht empfiehlt Einigung

Wie gefährlich ist die beliebte Verhütungspille „Yasminelle“? Ein Prozess zum Thema läuft seit Jahren. Auch ein Gutachter bringt keine Klarheit.

Fordert Schmerzensgeld von Bayer: Felicitas Rohrer vor Gericht Foto: dpa

Waldshut-Tiengen dpa | Im jahrelangen juristischen Streit um eine mögliche Gesundheitsgefahr der Verhütungspille „Yasminelle“ hat ein Gericht die Kontrahenten zu einer Einigung aufgerufen. Der Fall sei komplex und schwierig, sagte die Vorsitzende Richterin Claudia Jarsumbek am Donnerstag am Landgericht Waldshut-Tiengen (Baden-Württemberg). Ein Vergleich vor Gericht oder eine außergerichtliche Einigung seien die beste Lösung. Dafür bestehe Zeit bis zum 20. Dezember. Sonst drohe ein Prozess, der für beide Seiten ein hohes Risiko berge und der noch Jahre dauern könne. Es gehe um komplizierte juristische, medizinische und Haftungsfragen. Diese könnten nur schwer eindeutig beantwortet werden.

In dem Fall geht es um eine 34 Jahre alte Frau. Sie klagt in dem seit Juni 2011 laufenden Zivilrechtsverfahren gegen den Chemie- und Arzneimittelkonzern Bayer mit Sitz in Leverkusen. Dieser vertreibt die Pille.

Die Frau macht das Verhütungsmittel mit seinem Wirkstoff Drospirenon für gesundheitliche Probleme und ein hohes Thrombose-Risiko verantwortlich. Nach der Einnahme habe sie im Juni 2009 eine beidseitige Lungenembolie sowie einen Kreislaufzusammenbruch mit Herzstillstand erlitten und sei fast gestorben. Nur durch eine mehrstündige Operation wurde sie Gerichtsangaben zufolge gerettet.

Noch heute leide sie unter den Folgen, sagte die bei Offenburg im Ortenaukreis lebende Frau am Donnerstag. Sie fordert von Bayer Schadenersatz und Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 200.000 Euro (Az.: 1 O 73/12).

Nichts eindeutig geklärt

Der Pharmakonzern hält die in der Klage geltend gemachten Ansprüche für unbegründet, sagte der Rechtsanwalt des Unternehmens, Henning Moelle. Es gebe keine Beweise, dass die Verhütungspille für die gesundheitlichen Probleme der Klägerin verantwortlich sei. Durch wissenschaftliche Daten sei bestätigt, dass von der Pille und dem Wirkstoff bei korrekter Einnahme nicht die Gefahr ausgehe, wie sie in der Klage genannt werde.

Für eine Einigung oder einen außergerichtlichen Vergleich gebe es derzeit keine Grundlage, sagte Moelle. Die Klägerin Felicitas Rohrer sowie ihr Anwalt Martin Jensch sagten dagegen, sie könnten sich eine Einigung vorstellen.

Ein medizinischer Gutachter hatte am Donnerstag die Ursache der Gesundheitsprobleme nicht eindeutig klären können. Die lebensgefährliche Krankheit der Frau sei mit großer Wahrscheinlichkeit auf die vorherige Einnahme der Pille zurückzuführen, sagte der Mediziner. Andere Ursachen seien sehr unwahrscheinlich. Sie könnten jedoch nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden.

Nach dem Gutachten blieben viele Fragen offen, sagte die Richterin. Es gebe viele Wahrscheinlichkeiten und Unsicherheiten. Sie rate daher zur Einigung. Werde der Prozess fortgeführt, müssten grundsätzliche Fragen zeit- und arbeitsintensiv aufgearbeitet werden. Dies stelle, auch für die Klägerin, eine Belastung dar.

Keine juristisch wirksame Verantwortung

Die Pillen der Produktgruppe werden nach Darstellung von Bayer täglich millionenfach eingenommen, in mehr als 100 Ländern. Bereits in fünf Prozessen in Deutschland, in denen es um den umstrittenen Wirkstoff gegangen sei, habe Bayer gewonnen, betonte das Unternehmen.

In den USA hatten laut dem Unternehmen mehrere Tausend Frauen gegen Bayer geklagt. Bis Oktober 2016 schloss der Konzern den Angaben zufolge mit rund 10.600 Frauen Vergleiche über insgesamt rund 2,1 Milliarden US-Dollar ab, ohne jedoch eine juristisch wirksame Verantwortung anzuerkennen. Weitere Klagen und Forderungen von Frauen würden noch geprüft, hieß es.

In dem Fall, der am Landgericht-Waldshut-Tiengen verhandelt wird, hatte es im Dezember 2015 den ersten und bis zu diesem Donnerstag einzigen Verhandlungstermin gegeben. Zuvor hatten sich die Beteiligten schriftlich ausgetauscht. Das Gericht beauftragte nach der Verhandlung damals den medizinischen Experten, der nun vor der Zivilkammer des Gerichts seine insgesamt drei Gutachten erläuterte.

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1 Kommentar

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  • Hmmm... Hormonelle Verhütung führt also nicht zu Thrombosen, trotzdem zahlt der Hersteller tausenden Frauen mit Thrombosen Entschädigung? Das ist offensichliche Lügerei, wie man sie gerne hat, durchsichtig bis hin zur völligen Transparenz.



    Dabei steht Thromboserisiko als Nebenwirkung sogar auf der Packungsbeilage und die Ärztin redet sich den Mund fusselig mit regelmäßigem Blutdrucktest usw. Aus meiner Sicht ist nicht die Frage: war die hormonelle Verhütung dafür vermutlich verantwortlich, sondern: inwiefern kann dann der Hersteller verantwortlich sein? Ich weiß von dem Risiko, weiß, dass es mich treffen kann (weil der Blitz schon ganz ganz nah eingeschlagen ist) aber ich mache weiter mit der hormonellen Verhütung, weil es die kostengünstigste Alternative ist (ok, außer Hölle-friert-zu-Methoden wie Enthaltsamkeit).



    Ist alles scheiße, aber hat schon mal jemand die Hersteller von Chemotherapie-Meds verklagt, weil die Haare ausfallen? Es ist eine bekannte Nebenwirkung von Chemo, so wie Thrombosen ein bekanntes Risiko hormoneller Verhütung sind. Oder wussten die betroffenen Frauen das nicht? Wären dann nicht die Ärzte in der Pflicht? Oder geht es um Warnaufdrucke gleich denen auf Zigaretten? Wer denkt, es kann sowas wie "Lifestyle-Medikamente" geben, hat sich geschnitten, die haben es in sich.