Prozess um Brandstiftung in Solingen: Wo war der genaue Blick?
Ja, der Täter ist zur Höchststrafe verurteilt worden. Doch der Prozess war für die Angehörigen enttäuschend – es geht ihnen um mehr als Strafe.

M anchmal ist es ein Zufall zu viel. Doch im Prozess um die Brandstiftung in Solingen, bei dem vier Menschen bulgarisch-türkischer Herkunft starben, war es keiner. Es gab viele Gelegenheiten, genauer hinzusehen – und zu viele wurden verpasst. Ein rassistisches Gedicht, gut sichtbar an der Garage des Täters, wurde einem Nachbarn zugeschrieben. 166 rechtsextreme Bilder auf einer Festplatte galten als Eigentum der Freundin. NS-Literatur im Haus stammte angeblich vom Vater.
Ein Polizeivermerk, in dem anfangs ein rechtes Motiv erwähnt wurde, verschwand später. Hinweise, die in anderen Fällen als zentral gegolten hätten, wurden wiederholt relativiert. Die Ermittlungsbehörden zeigten auffallend wenig Interesse an einem möglichen rassistischen Hintergrund.
Ja, der Angeklagte ist mit einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung zur Höchststrafe verurteilt worden. Doch im Prozess spielte ein mögliches rechtsextremes Motiv keine Rolle. Vieles wurde stattdessen der Psyche des Täters zugeschrieben. Gerade dieser Fall hätte einen besonders genauen Blick verlangt – denn die Frage nach einem rechtsextremen Motiv betrifft nicht nur die Angehörigen, sondern die gesamte Gesellschaft.
Und für die Angehörigen geht es um mehr als nur um das Strafmaß – sie wollten wissen: Warum wurden ausgerechnet ihre Kinder und Enkelkinder Opfer? Es hätte unabhängige Sachverständige gebraucht, Expert*innen für Rassismus und Rechtsextremismus oder eine zweite oder dritte Meinung, um offene Fragen der Familien ernsthaft zu prüfen. Und doch wirkte das Verfahren, als solle es vor allem eines: möglichst schnell abgeschlossen werden.

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