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Prozess um Angriff auf SynagogeBekehrung mit dem Brandsatz

Im Prozess um den Brandanschlag auf die Oldenburger Synagoge sagt Tim R., er habe die Tat im religiösen Wahn begangen: um Juden zu bekehren.

Blumen liegen im April 2024 vor der verbrannten Eingangstür der Oldenburger Synagoge Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

Am Mittwoch begann am Landgericht Oldenburg der Prozess um den Brandanschlag auf die Oldenburger Synagoge im April des vergangenen Jahres. Der Beschuldigte, Tim R., soll wenige Stunden vor dem Schabbat-Gottesdienst einen Molotowcocktail auf die Tür der Synagoge geworfen haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchte schwere Brandstiftung vor, geht aufgrund einer psychischen Erkrankung jedoch von seiner Schuldunfähigkeit aus.

Die Beratungsstelle „OFEK“ kritisierte schon im Vorfeld die „Entpolitisierung der Tat“ durch die Behörden und das Oldenburger Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus betonte, dass der gesellschaftliche Antisemitismus den Nährboden für „sogenannte Einzeltäter“ bereite.

Dass R. die Tat begangen hat, steht fest. Er hatte bereits bei seiner Festnahme gestanden. Zusätzlich konnten die Er­mitt­le­r:in­nen seine DNA an den Resten des Brandsatzes nachweisen. Im Prozess geht es nun vor allem um sein Motiv.

„Eine Art Bekehrungsgedanken“

Zunächst äußert sich R.s Verteidiger. Sein Mandant habe sich zum Tatzeitpunkt in einem psychotischen, „religiösen Wahn“ befunden und sei von „einer Art Bekehrungsgedanken“ besessen gewesen: Juden seien auf dem „falschen Weg“, weil sie Jesus Christus nicht als Propheten anbeten. Deshalb sei ihnen nach dem Tod das ewige Leben verwehrt. Vor diesem Schicksal habe sein Mandant sie durch Bekehrung retten wollen. Als Mittel wählte er den Molotowcocktail.

R. habe nach seinem letzten Aufenthalt in der Psychiatrie seine Medikamente abgesetzt und zum Tatzeitpunkt unter dem Einfluss von Cannabis gestanden. Jetzt nehme er wieder Medikamente und bereue die Tat. Derzeit ist er in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht.

R. sitzt ruhig neben seinem Verteidiger und antwortet auf die Fragen des Vorsitzenden Richters ausführlich, wenn auch diffus: „Dieser Bekehrungsgedanke hat mich nicht losgelassen.“ Er habe immer wieder Stimmen in seinem Kopf gehört, die ihn zu der Tat gedrängt hätten. Irgendwann sei sein Leidensdruck so groß gewesen, dass er mit einem Molotowcocktail im Rucksack von seinem Wohnort Bakum nach Oldenburg gefahren sei, um die Synagoge aufzusuchen und den Brandsatz zu werfen.

Überrascht, als die Polizei kam

Durch die Tat habe er sich Erleichterung von den Stimmen erhofft. Sein Ziel sei gewesen, dass die Juden sich nach dem Brandanschlag auf die Bekehrung einlassen: „Das war definitiv das falsche Mittel zum Zweck. Im Nachhinein seh’ ich, dass das ein falsches Licht wirft.“ An dieser Stelle erinnert der Vorsitzende Richter daran, dass die Nazis 1938 die alte Synagoge an der Peterstraße niederbrannten.

Nach der Tat hätten die Stimmen nachgelassen, erzählt R. weiter. Als die Polizei ihn dann im Januar festnahm, sei er überrascht gewesen: „Ich hatte das auch gar nicht mehr im Kopf, dass ich die Tat begangen hab.“ Da er sozial zurückgezogen und ohne Handy gelebt hat, habe er auch von der Fahndung nach ihm nichts mitbekommen. Er wohnte bis zu seiner Festnahme in einer Gemeinschaftsunterkunft, war lange Zeit obdachlos und wegen seiner Erkrankung schon in psychiatrischer Behandlung.

Auf die Frage, ob er noch immer seinen Bekehrungsgedanken habe, antwortet er: „Das herrscht schon vor, diese innere religiöse Meinung.“ In die Tat müsse er sie jetzt aber nicht mehr umsetzen.

Täter entschuldigt sich bei Jüdischer Gemeinde

Neben zwei Polizeibeamten befragt das Gericht am ersten Verhandlungstag auch Claire Shaub-Moore, die erste Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Oldenburg. Sie war zur Zeit des Anschlags im Gemeindehaus direkt neben der Synagoge. Nach dem Anschlag sei sie zunächst unsicher gewesen, ob die Gemeinde am Abend wie geplant den Gottesdienst feiern sollte. „Wir haben uns entschieden, wir werden den Gottesdienst trotzdem machen.“ Es bleibe aber weiter die ständige Angst, dass sich die Geschichte für die Juden und Jüdinnen in Deutschland wiederhole. Viele Gemeindemitglieder haben Angehörige in der Schoah verloren. R. entschuldigt sich bei Shaub-Moore.

Der Vorsitzende Richter kündigt an, dass er das Urteil voraussichtlich schon am Montag verkünden wird. Dann entscheidet sich, ob R. dauerhaft in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht wird.

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4 Kommentare

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  • Immer wieder gruselig zu welchen Schlussfolgerungen manche Menschen kommen, wenn sie nur lange genug mit ihren Gedanken alleine sind....der Gedankengang " ich werfe ein Molotovcocktail, dann werden sich die Juden schon vom Judentum abwenden" ist an Absurdität kaum zu übertreffen

  • Der Täter wohnte bis zu seiner Festnahme in einer Gemeinschaftsunterkunft, war oder ist Psychatrie, Medikamenten erfahren. Was sagen seine verantwortlichen, behandelne Ärzte und seine Betreuer zu diesem Gewaltübergriff auf unsere Gesellschaft. Es kann und darf nicht sein, immer wieder von Gewalttaten, psychisch Erkrankter ausgesetzt zu werden, weil das soziale Netzwerk permanent versagt.

  • Eine dauerhafte Unterbringung wäre schon angebracht, wenn er nicht sicherstellen kann dass er keine Leute angreift muss das halt der Staat für ihn tun.



    Wobei es nach einer ziemlich billigen Ausrede klingt.

  • Ich kann schon sehen wie sich hier gleich die Kommentare häufen die darauf bestehen diese Tat in den Kontext des systemischen Antisemitismus zu stellen.

    Ich arbeite mit Obdachlosen und naturgemäß vielen psychisch kranken Menschen. Und so eine Tat hätte auch jedes andere Ziel treffen können, je nachdem wohin der Wahn eine Person trägt.



    Die wenigsten Menschen können sich vorstellen was es bedeutet Stimmen zu hören und Zwangsgedanken zu haben. Und unser Hilfs- und Versirgungssystem ist nicht in der Lage Menschen aufzufangen, so dass sich psychische Erkrankungen unter Armen und Obdachlosen Menschen fast immer bis zur Eskalation verschlimmern.

    Ja Menschen neigen dazu ihre Medikamente abzusetzen, aus einer ganzen Reihe an Gründen. Wenn eins das Glück hat zB eine Familie zu haben die sich dann rechtzeitig kümmert lässt sich das auffangen, wenn nicht endet das gerne im Knast, im Suizid oder eben mit solchen Taten.



    Das ist traurig mit anzusehen aber ich kann eine Person im Wahn nicht verurteilen. Ich kann lediglich den Finger auf den Staat legen der seit Jahrzehnten die Fürsorgestrukturen demontiert.