Prozess in Weimar: Rechter Kommissar vor Gericht
Ein Polizist aus Weimar steht vor Gericht, unter anderem wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen. Einsicht zeigt er nicht.
Anklagepunkte gibt es viele: In insgesamt 37 Fällen soll sich der Kommissar der Polizeiinspektion Weimar der Bestechlichkeit, des Verrats von Dienstgeheimnissen und des Verstoßes gegen die Geheimhaltungspflicht schuldig gemacht haben.
Der 42-jährige Familienvater aus dem thüringischen Bad Berka soll der damals Anfang 20-jährigen Hanna F. (Name von der Redaktion geändert) interne Polizeidaten weitergeleitet, Informationen über Haftbefehle gegeben, Bilder von Überwachunsgkameras sowie Dickpics von sich geschickt haben. Außerdem soll er versucht haben, sie zu bestechen, indem er sexuelle Handlungen von ihr im Tausch gegen interne Polizeidaten forderte. So heißt es in der Anklage der Staatsanwältin Franziska Hetzer.
An zwei Prozesstagen sagten neben internen Ermitler:innen und Polizeibeamten auch weitere Zeug:innen aus, darunter die Hauptbelastungszeugin Hanna F. Diese bestätigte die Vorwürfe gegen M. Hanna F. hatte zum Zeitpunkt des Chatkontakts in den Jahren 2017 und 2018 eine Bewährungsstrafe, war wegen diverser Delikte polizeibekannt. Wie Staatsanwältin Hetzer sagte, war es für Hanna F. nützlich, dass ein Polizeibeamter sie mit Informationen versorgte.
„Soll ich mir jetzt die Hose runterziehen?“
Hetzer wies auf die Chatprotokolle hin, die interne Ermittler:innen sicherstellen konnten. In einem dieser Chats vom April 2017 schreibt M. an das junge Mädchen: „Sex draussen?“ Als diese antwortet, ihr Freund sei da, schreibt M. „Im Wald oder im Polizeiwagen“ und „Wenn ich dich sehe, geht bei mir alles nach oben“. Als Hanna F. schreibt, er solle aufhören, antworte M., er sei gerade aber „total heiß“ und im Polizeiauto sei „cool.“ Als F. fragt, ob sie dann ihren Führerschein zurückbekomme, bejaht M..
Tatsächlich ist es nie zu sexuellen Handlungen gekommen – für die Strafbarkeit ist das jedoch irrelevant. Als diese und andere Chatinhalte im Gerichtssaal vorgelesen werden, schmunzelt M. nur. Tino M., ein großer, bärtiger Mann im rosa Hemd, ist nicht vorbestraft. Er hat eine Frau und drei Kinder. Seit 1997 ist er Polizist und wie er selbst sagt „schon ewig Kommissar“.
Doch im Gerichtssaal zeigt sich, wer Tino M. wirklich ist. Immer wieder stört M. den Prozess durch Flüstern und Unterbrechungen, lächelt die Zeug:innen süffisant an oder zieht die Augenbrauen wissend nach oben. Nur zu den Tatvorwürfen will er nichts sagen.
Die Staatsanwältin unterbricht er durch Zwischenrufe. Als sie die von M. an die junge Hanna F. verschickten Bilder seiner Genitalien thematisiert, sagt dieser lautstark: „Soll ich mir jetzt die Hose runterziehen? Wollen Sie nachmessen?“
Ein selbstsicherer Polizist
Schon im vergangenen Jahr berichtete die taz von Tino M.s rechter Gesinnung. Erst einen Tag vor dem Prozess teilte er erneut auf Facebook einen Post der Seite „Deutsch sein ist kein Verbrechen“, in dem beteuert wird, er lasse sich nicht testen und nicht impfen. Der unauffällige Tino M. ist einer, der die Echtheit der Pandemie anzweifelt, gegen Migrant:innen hetzt und Frauen nicht ernst nimmt.
Dennoch erhält er rechtmäßig als suspendierter Kommissar noch immer 3.800 Euro netto monatlich – solange die Ermittlungen andauern. Staatsanwältin Hetzer sprach im Prozess von einer möglichen „mangelnden Kontrolle bei der Polizei.“ Auch die taz berichtete 2020 von einem „erheblichen Führungsproblem“. Derzeit wird infolge von taz-Recherchen erneut gegen Führungskräfte der Polizeiinspektion Weimar ermittelt.
Das erwartete Urteil wurde auf kommende Woche vertagt. M.s Anwalt behauptet, Hanna F. sei eine Informantin gewesen, sein Vorgehen „rechtmäßiges Polizeiverhalten“. Er beantragte Freispruch für den Mandanten. Für Staatsanwältin Hetzer hingegen ist eindeutig, dass sich die Anklage bestätigt hat. Sie beantragt für den Kommissar Tino M. eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten.
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