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Prozess in KarlsruheWenn der Mörder sich selbst stellt

28 Jahre blieb der mutmaßliche Mörder einer Frau unentdeckt – bis Paul P. selbst zur Polizei ging. „Ich träume jede Nacht davon“, sagt er.

Nach der Tat wurde er nie wieder auffällig: Paul P. im Gerichtssaal. Foto: dpa

Karlsruhe taz | Es könnte das Ende eines Dürrenmatt-Romans sein. Ein 47 Jahre alter Mann meldet sich bei der Basler Polizei, er habe die damals 25-jährige Antonella Bazzanella in einem Wald in Karlsruhe ermordet. Die Tat ist 28 Jahre her. Die Polizei stellt fest, dass er Dinge weiß, die nur der Täter wissen kann, und nimmt ihn fest. Am Dienstag steht Paul P. in Karlsruhe vor Gericht.

Am 22. 6. 1987 fand ein Spaziergänger im Wald hinter dem Wildparkstadion ein Damenfahrrad und die Leiche einer strangulierten und schwer misshandelten Frau. In ihrem Mund steckt ein dicker Stock. Die Karlsruher Polizei richtet eine 20-köpfige Sonderkommission ein, setzt eine Belohnung aus. Doch trotz Hinweisen aus der Bevölkerung bleiben die Ermittlungen erfolglos. Die Tat, an die heute ein Gedenkstein am Tatort erinnert, wird nie geklärt.

„Ohne das Geständnis von Paul P. wären wir heute nicht hier“, sagt Alexander Kist, Verteidiger von Paul P., am Dienstag. Das müsse beim Urteil berücksichtigt werden. P. wird in Handschellen vor die Karlsruher Jugendstrafkammer geführt. Er war zur Tatzeit 20 Jahre alt. Es liegt im Ermessen des Gerichts, ob nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht geurteilt wird.

Vor den Richtern wiederholt P. sein Geständnis. Er ist ein schmaler Mann mit dunklen mittellangen Haaren, einem Kinnbart und Brille. Er spricht leichtes Schweizerdeutsch. Er sei die Bilder der toten Frau nicht mehr los geworden, sagt er. „Ich träume jede Nacht davon.“

Paul P. berichtet von seiner Jugend. Er ist das dritte von vier Geschwistern, seine jüngere Schwester wird zur Adoption freigegeben, seinen leiblichen Vater kennt er nicht. Seine wechselnden Stiefväter schlagen ihn, er kommt ins Heim, obwohl er bei seiner Mutter bleiben will. Dort gibt es Schwierigkeiten, er wird weitergereicht in eine Einrichtung für Schwererziehbare. P. macht eine Ausbildung zum Metallwerker, die er nie beendet. Schon vorher hat er erste sexuelle Beziehungen zu Mädchen, allerdings ohne irgendwelche Auffälligkeiten, wie er sagt. Nur dass er viel trinkt, fällt selbst im Heimumfeld auf.

Schon zwei bis drei Liter Bier getrunken

Der damals 20-Jährige ist noch in dem Schwererziehbarenheim, als er an jenem Juni-Sonntag am Wildparkstadion auf Antonella Bazzanella trifft, die in der Stadt als Eisverkäuferin arbeitet. Tina Turner tritt an diesem Tag im Stadion auf, P. wollte von außen der Musik zuhören. Er hat schon zwei bis drei Liter Bier getrunken, als ihn Bazanella nach Pferden fragt, die sie im Park suche. Er weist ihr den Weg in den dahinterliegenden Wald.

Das Mädchen habe ihm gefallen, sagt P. vor Gericht, er sei „spitz“ gewesen. Er habe die letzte Dose ausgetrunken und sei der Frau mit dem Fahrrad gefolgt. „Wollten Sie Geschlechtsverkehr um jeden Preis?“, fragt der Vertreter der Nebenklage. Paul P. nickt.

Was dann folgt, daran hat der Mann nur noch bruchstückhafte Erinnerung. Er habe die Frau eingeholt, berichtet er, und ihr im Fahren an die Brust gefasst. Bazanella sei gestürzt, wieder aufgestanden und habe ihn beschimpft. „Da habe ich rotgesehen“, sagt P. mit leiser Stimme.

Warum? P. kann sich nicht erinnern

Laut Polizeibericht soll P. die junge Frau mit der Kordel ihrer Handtasche um den Hals zwischen zwei Bäumen angebunden und sie erdrosselt haben. Die qualvolle Prozedur habe lange Zeit gedauert. „Kann sein“, sagt P. am Dienstag. Er wisse es nicht mehr. Er könne sich nur noch erinnern, wie er sie mit den Händen gewürgt habe. Und an die Sache mit dem Stock. Mithilfe eines Steins habe er der Frau einen Stock in den Mund getrieben. Warum, das könne er nicht mehr sagen. Sexuelle Lust habe er dabei nicht empfunden.

Kurz nach der Tat zog Paul P. nach Basel in die Schweiz zu seiner Familie. Dort arbeitete er bis vor wenigen Monaten auf Baustellen und in der Gebäudereinigung. Er ist nach allem, was bekannt ist, nie mehr mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Er führt Beziehungen, die immer wieder scheitern. Gewalt gegen Frauen habe er aber nie wieder angewandt: „Das war damals das erste und einzige Mal.“

Kurz nach dem Tod seiner Mutter, die er gepflegt hatte, seien dann die Bilder der Tat wiedergekommen, die er über zehn Jahre verdrängt hatte. „Ich habe das nicht mehr geschafft, sagt Paul P. „Ich habe mich gestellt, damit die Tat bestraft wird.“

Mitte Oktober erwartet ihn nun das Urteil des Gerichts.

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6 Kommentare

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  • „Das war damals das erste und einzige Mal.“

    Das hat ja völlig gereicht! Arme frau!

    Und? Wo bleiben die hintergrundsinformationen über sie? Was hatte sie für träume? Freundschaften? Was für ne schule besucht? Wie ging es den menschen, die sie liebten, nach dem mord? Mussten welche in therapie?

    Was für eine enttäuschender bericht! Wie so oft kommt das mordopfer nur "unter ferner liefen" vor, sehr ärgerlich!

    • @ermi k.:

      Das Kino, was Sie hier vorgeführt haben wollen, läuft normalerweise bei jedem von selbst ab. Jedes Leben ist wertvoll; Darin muss niemand durch detaillierte Informationen erst den Beweis antreten, außer der Leser benötigt einen emotional aufgeladenen Text, um seine Spiegelneuronen zu befeuern oder seinem "Voyeurismus" zu huldigen.

    • @ermi k.:

      Das hat jetzt doch eine halbe Stunde und zwei Gläser Wein gekostet um zu erkennen, dass das Satire war ( der Kommentar von Ermi K., nicht der Artikel). Schließlich ist das hier die TAZ und nicht Welt.de.

    • @ermi k.:

      Der Bericht enthält die relevanten Fakten. Private Angelegenheiten des Opfers haben die Öffentlichkeit nicht zu interessieren. Wenn Sie derartige Details wollen, sollten Sie zur Boulevard-Presse greifen, aber sich nicht bei Journalisten darüber beklagen, dass sie ein professionelles und seriöses Arbeitsethos pflegen.

      • @Ingo Bernable:

        Das ist halt so eine typisch deutsche Antwort bei Gewaltverbrechen.

         

        In vielen anderen Ländern der westlichen Welt hat man mehr Empathie für Verbrechensopfer als in Deutschland, es wird auch in den Medien über sie berichtet damit sie als Mensch in Erinnerung bleiben und nicht als anonymes Mordopfer.

         

        Es wäre schon ein Anfang die eigenen Verhältnisse nicht so dermassen arrogant abzufeiern und wahrzunehmen dass man selbst im eigenen Kulturkreis in der Minderheit ist mit dieser Attitüde. Das gibts sonst nur noch in Skandinavien.

        • @Tron1981:

          Sie wollen sie also in Erinnerung behalten. Kannten Sie sie denn?

          Genau in dieser Frage sollte eigentlich deutlich werden worum es hier geht: Da wird die Erinnerung und Trauer - also etwas was sonst Sache von Familie und Freunden ist - plötzlich von der breiten Öffentlichkeit beansprucht. Und zwar, das sollte man dann schon zugeben, eben nicht aus persönlicher Verbundenheit, sondern der krassen Umstände halber. Das hat nichts mit Empathie zu tun, sondern mit schnöder Sensationsgier, die letztlich auch gegenüber den tatsächlich Betroffenen übergriffig ist.

          Ein anderes Argument für eine sachlich, objektive Berichterstattung, auch in solch spektakulären Fällen, ist, dass ein gesellschaftlicher Diskurs, der im Wesentlichen durch emotionale Betroffenheit geprägt ist, kaum in der Lage sein wird einen adäquaten Umgang mit solchen Situationen und den daran beteiligten Personen zu finden.

          Dies heißt keineswegs, dass ich die eigenen Verhältnisse abfeiere, zu kritisieren gibt es an denen mehr als genug. Dennoch denke ich, dass eine Presse die zwischen wesentlicher Information und irrelevanter Betroffenheitsheuchelei zu differenzieren weiß einen gewissen Fortschritt darstellt.