Prozess gegen mutmaßliche Reichsbürgerin: Des Kaisers neue Telegram-Chatgruppe
Am Oberlandesgericht Celle hat der Prozess gegen ein mutmaßliches Mitglied der „Kaiserreichsgruppe“ begonnen. Die Angeklagte distanziert sich.
Die Angeklagte B. soll sich um technische Angelegenheiten und die Planung der Nahkampfausbildung von Rekrut*innen gekümmert haben. So verliest es am Mittwochmorgen der Staatsanwalt zu Beginn der Verhandlung. Die „Kaiserreichsgruppe“ habe sich laut dem Staatsanwalt infolge der Corona-Restriktionen und der Flut im Ahrtal zusammengefunden und radikalisiert. Im Fall von B. lautet die Anklage auf mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens. Auch der Besitz eines Schlagrings wird ihr zur Last gelegt.
Die Gruppe, die sich auch die „Vereinten Patrioten“ nannte, habe es für notwendig gehalten, die grundgesetzliche Ordnung des Bundes zu beseitigen. Eine erste Phase des Umsturzplanes habe unter dem Schlagwort „Silent Night“ gestanden. Es seien Sprengstoffanschläge geplant gewesen, um einen bundesweiten Stromausfall zu erzeugen, die Bundesregierung handlungsunfähig zu machen und „die Medien“ an Einflussnahme zu hindern.
Dass dabei Menschenleben gefährdet worden wären, sei als Kollateralschaden in Kauf genommen worden, so die Staatsanwaltschaft. Eine zweite Phase des Plans soll unter dem Titel „Klabautermann“ gelaufen sein. Bewaffnete hätten eine Talkshow stürmen und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) entführen sollen. So sollten „bürgerkriegsähnliche Zustände“ provoziert und der dritte Schritt des Plans vereinfacht werden: der Sturz der Bundesregierung.
SIM-Karten und Nahkampfausbildung
B. soll die Telegram-Gruppen der „Vereinten Patrioten“ verwaltet haben. Um eine Kommunikation unter dem Radar von Ermittlungsbehörden sicherzustellen, soll sich die Angeklagte aus Hildesheim auch mit der Beschaffung von kroatischen SIM-Karten befasst haben. Darüber hinaus sei es ihre Aufgabe gewesen, eine Nahkampfausbildung zu arrangieren.
Der Staatsanwalt beschreibt das Verhältnis von B. zum Kern der Gruppe als „loyal“. B. sei nicht nur Mitwisserin des Plans gewesen, der so abstrus klingt – vom Gericht aber sehr ernst genommen wird. Vor dem Gerichtsgebäude beziehen Polizeibeamte in voller Montur an mehreren Eingängen Stellung. Als die Beschuldigte das Gericht in einer Verhandlungspause verlässt, tut sie das – zumindest dem Anschein nach – jedoch in aller Ruhe.
Eine als erste Zeugin vernommene Polizeibeamtin schildert eine Begegnung mit der Angeklagten am Rande einer Demo gegen Corona-Maßnahmen im Februar 2022. B. sei auf sie zugekommen, um von einer bevorstehenden Straftat zu berichten. Sie soll aufgeregt gewirkt haben und hektisch und durcheinander gesprochen haben. Dabei soll B. betont haben, „Angst um ihr Leben und das ihrer Kinder“ gehabt zu haben.
B. habe gegenüber der Polizistin angegeben, aufgrund ihrer Kenntnisse in der Administration von Chat-Gruppen eine Einladung zu einem Treffen von „Veteranen“ erhalten zu haben. Der Einladung sei sie gefolgt und nach Schlotheim in Thüringen gefahren. Dort sei ihr bewusst geworden, dass es sich um kein gewöhnliches Treffen zum Austausch, sondern ein Rekrutierungstreffen von Personen handele, die Deutschland in den Zustand des Kaiserreichs zurückversetzen wollten. Sie selbst sei für technische Aspekte der Umsetzung des Plans rekrutiert worden.
B. soll der Polizei ein Angebot gemacht haben
Gegenüber der Beamtin habe die Beschuldigte erklärt, nicht mit der Ideologie der Gruppe übereinzustimmen, weshalb sie sich proaktiv an die Polizei gewandt habe. Der Polizeibeamtin soll B. auch ein Angebot gemacht haben. Sie habe sich vorstellen können, erneut zu einem Treffen eingeladen zu werden. Dann sei es denkbar, eine Begleitperson mitzunehmen – und auf diese Weise eine*n Ermittler*in einzuschleusen.
Tatsächlich wird B. die Teilnahme an mindestens zwei Treffen vorgeworfen. Dem in Schlotheim – und einem in Verden. Bei beiden Treffen sollen laut der Staatsanwaltschaft schon bestehende Pläne weiter konkretisiert worden sein. Sie hätten auch die Idee beinhaltet, einen Schauspieler einzusetzen, der entweder Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier oder Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD) spielen und erklären sollte, dass die Verfassung des deutschen Kaiserreichs wieder in Kraft trete. So sollte sichergestellt werden, dass die „Übergabe der neuen Staatsform anerkannt“ würde. Die Ausrufung eines Kaisers sei aber als nicht zwingend erforderlich angesehen worden.
Der Prozess gegen B. gehört zu einer Reihe von Verfahren gegen mutmaßliche Mitglieder der Gruppe. Weitere Verhandlungen haben in Koblenz, Frankfurt am Main, München, Düsseldorf und Hamburg stattgefunden und sind teilweise schon abgeschlossen. Für die Celler Richter wird die Urteilsfindung ein intensives Projekt für die kommenden Wochen und Monate. Bis April sind allein rund zwanzig Verhandlungstermine angesetzt.
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