Prozess gegen irakisches Paar in München: Details eines Völkermords
Ein irakisches Ehepaar soll zwei jesidische Mädchen als Sklavinnen gehalten, gequält und missbraucht haben. In München steht das Paar nun vor Gericht.
Die beiden Angeklagten sollen Mitglieder der Terrorgruppe Islamischer Staat gewesen sein. Ende 2015 sollen sie ein fünfjähriges jesidisches Mädchen als Sklavin gekauft haben. Nach Darstellung der Generalbundesanwaltschaft hat sich die damals 19-jährige Asia R. A. das Kind als Brautgabe gewünscht.
Anfang Oktober 2017 kaufte das Paar sich noch ein weiteres jesidisches Mädchen, zum damaligen Zeitpunkt zwölf Jahre alt. Beide Kinder sollen von den beiden gefangen gehalten, zur Hausarbeit und zur Ausübung der islamischen Religion gezwungen, erniedrigt, gequält und sexuell missbraucht worden sein. So vergewaltigte H. S. die Kinder mehrfach. Zuvor kleidete seine Frau das ältere Mädchen beispielsweise aufreizend und schminkte sie. Erledigten sie ihre aufgetragenen Hausarbeiten nicht zur Zufriedenheit des Paares oder beschwerten sich, wurden die Kinder hart bestraft: Sie wurden geschlagen oder mussten eine halbe Stunde auf einem Bein stehen. Einmal übergoss Asia R. A. der Anklage zufolge die Hand des jüngeren Kindes zur Strafe mit kochendem Wasser.
Ende 2017 gab das Paar die Mädchen an andere IS-Kämpfer weiter. Während sich die Spur der Jüngeren daraufhin verlor, konnte die Ältere wenig später von ihrer Familie freigekauft werden. Nach Informationen des Bayerischen Rundfunks ist geplant, dass sie in dem Prozess aussagen wird.
Angeklagter klagt über Schmerzen
Begonnen hat das Verfahren am Montag zunächst allerdings mit Verzögerung. Twana H. S. erklärte, er sei nicht in der Lage der Verhandlung zu folgen. In der Justizvollzugsanstalt sei er regelmäßig zusammengeschlagen und unter Drogen gesetzt worden. Monate lang sei er in den Bunker, also in Isolierhaft, gesperrt worden. Eine Behauptung, die aufhorchen ließ, da H. S. bis vor wenigen Tagen in der skandalträchtigen JVA Augsburg-Gablingen untergebracht war. Er leide unter starken Kopfschmerzen und beidseitigem Tinnitus, gab er an.
Der Vorsitzende Richter Philipp Stoll unterbrach die Sitzung daher, um den Angeklagten ärztlich untersuchen zu lassen. Der Arzt des Justizzentrums konnte allerdings nichts Definitives feststellen, wie er daraufhin vor Gericht berichtete. Er gab dem Angeklagten Schmerzmittel und befand, dass er zumindest für anderthalb Stunden verhandlungsfähig sei. So konnte am Montag zumindest noch die umfangreiche Anklageschrift verlesen werden.
Dass Prozesse in Deutschland stattfinden können, obwohl beide Angeklagten nur die irakische Staatsangehörigkeit haben und die angeklagten Verbrechen nicht in Deutschland stattfanden, ist bei Straftaten wie Völkermord seit 2002 auf Grundlage des deutschen Völkerstrafgesetzes möglich.
Erst Kokain, dann Moschee
Eine Verbindung der Angeklagten zu Deutschland gibt es indes schon. So ist Twana H. S. dem Bayerischen Rundfunk zufolge vor über zwanzig Jahren als Asylbewerber nach Deutschland gekommen, wo er ein Leben in München geführt habe, inklusive Kokainkonsum und Oktoberfestbesuchen. Gearbeitet habe er als Friseur. In den 10er-Jahren soll er sich dann über den Kontakt zu einer islamistischen und vom bayerischen Verfassungsschutz beobachteten Münchner Moschee radikalisiert haben.
2015 schließlich sei er in den Irak gereist, wo er sich dem Islamischen Staat angeschlossen habe. Hier habe er Asia R. A. kennengelernt und sie geheiratet. Beim IS absolvierte er zu dieser Zeit eine Kampfausbildung. Infolge des Niedergangs des IS kehrte S. H. 2018 nach Deutschland zurück, wohin er seine Frau mitnahm. Wegen seiner IS-Mitgliedschaft saß er bereits eine Haftstrafe ab. In Deutschland habe sich seine Frau, die ihrem Anwalt zufolge völlig unideologisch ist, von ihm getrennt und das alleinige Sorgerecht für die beiden gemeinsamen Kinder beantragt.
Für die Verhandlung sind Sitzungstage bis in den Januar hinein angesetzt. Der Prozess hat dabei eine Bedeutung, die über die Qualen der beiden konkreten Opfer hinausgeht. Schließlich stehen sie auch stellvertretend für das Schicksal der jesidischen Minderheit im Nordirak: Vor zehn Jahren waren hunderttausende Jesiden vom Islamischen Staat vertrieben, Tausende von ihnen verschleppt, versklavt, getötet worden. Vor zwei Jahren erkannte auch der Bundestag die Verbrechen des IS an den Jesiden als Völkermord an. So wird denn auch jeder Prozess wegen einzelner Verbrechen im Rahmen des Genozids von der jesidischen Community als ein Fünkchen Gerechtigkeit betrachtet.
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