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Prozess gegen IS-RückkehrerinLange Haft für Marcia M.

Marcia M. soll geholfen haben, Anschläge in Deutschland vorzubereiten. Ihre Reue nahm ihr das Gericht nicht ab. Mit der Aufarbeitung steht sie am Anfang.

Die Angeklagte Marcia M. hält sich im Gerichtssaal mit gefesselten Händen einen Ordner vors Gesicht Foto: Philipp Schulze/dpa

Hannover taz | Die Sicherheitsvorkehrungen haben nachgelassen, das Interesse der Öffentlichkeit auch. Als der Prozess gegen die IS-Rückkehrerin Marcia M. vor dem Oberlandesgericht in Celle im April begann, standen noch vermummte Polizisten mit Maschinenpistolen rund um das Gebäude. Jetzt, zur Urteilsverkündung, sieht man nur noch einzelne Polizeifahrzeuge.

Auch das mediale Interesse hat nachgelassen. Irgendwie gleichen sie sich ja auch, diese Geschichten von verirrten, verblendeten Frauen und die Weltöffentlichkeit hat längst andere Sorgen als diesen Krieg von gestern. Das ist vorschnell, glaubt Sofia Koller, immerhin ist die Reintegration dieser Frauen und ihrer Kinder noch lange nicht abgeschlossen. Die Politikwissenschaftler beobachtet bundesweit Prozesse gegen IS-Rückkehrerinnen für das Counter Extremism Project in Berlin, einen transatlantischen Thinktank, der sich der Analyse und Bekämpfung extremistischer Netzwerke verschrieben hat und politische Entscheidungsträger berät.

Mit einer Haftstrafe von acht Jahren und sechs Monaten, die das Gericht über Marcia M. verhängt hat, gehört die heute 34-Jährige aus Salzgitter zu den am härtesten Bestraften. Noch länger ins Gefängnis mussten bisher nur jene Frauen, die sich direkt an der Versklavung und Misshandlung jesidischer Frauen und ihrer Kinder beteiligt hatten – wie Jennifer W. aus Lohne, die sich am grausamen Tod eines Kindes mitschuldig gemacht hatte und dafür nun – nach Revision – zu 14 Jahren Haft verurteilt wurde.

Von jesidischen Sklaven ist im Falle Marcia M. nicht die Rede. Aber sie hat deutlich mehr getan, als ihrem IS-Ehemann bloß den Haushalt zu führen, urteilte das Oberlandesgericht Celle. Am Schwersten wog der Vorwurf, sie habe sich an der Vorbereitung von Anschlägen in Deutschland beteiligt.

Konkrete Anschlagspläne

Marcia M. hatte versucht, Ehefrauen zu rekrutieren, die IS-Kämpfern die Einreise und den Aufenthalt in Deutschland ermöglichen sollten. Als „Schläfer“, behauptet sie. Die Sicherheitsbehörden glauben allerdings, dass damit schon sehr konkrete Anschlagspläne verbunden waren – und dass Marcia M. das auch klar war. Ähnlich wie im Bataclan in Paris sollten die Männer ein Massaker auf einem nicht näher bezeichneten Musikfestival in der Nähe von Hildesheim begehen, möglicherweise auch bei einem Kinderkonzert in Frankfurt.

Das scheiterte im Wesentlichen an zwei Dingen: Marcia M. chattete, ohne es zu wissen, mit einer Quelle des Bundesnachrichtendienstes. Und die beiden auserkorenen IS-Kämpfer scheiterten an der geschlossenen syrisch-türkischen Grenze. Das, findet der Generalbundesanwalt, ist ihr ja aber nicht zuzurechnen. „Sie hat ihren Teil beigetragen.“

Die Verteidigung macht dagegen geltend: Marcia M. hatte wenige Kenntnisse und keinen Einfluss auf die tatsächlichen Anschlagspläne. Sie handelte auf Anweisung ihres Ehemannes, der sie über die Details im Dunkeln ließ. Außerdem habe sie sich von Anfang an – schon während der Inhaftierung in Syrien, reuig und geständig gezeigt und mit den deutschen Sicherheitsbehörden kooperiert.

Taktische Geständnisse

Die Anklage und letztlich auch der Richter unterstellten ihr aber letztlich taktische Geständnisse. Sie habe manche Vorwürfe eingeräumt, andere geleugnet. An manchen Stellen tatsächlich Vorgänge geschildert, die sie belasten und die der Anklage so gar nicht bekannt waren – die Teilnahme an ideologischen Schulungen etwa oder die Herstellung von Elektronikbauteilen, die vermutlich Teil von Sprengfallen waren.

An anderen Stellen leugnete sie, konnte sich nicht genau erinnern, spielte ihre Beteiligung herunter, glaubte das Gericht. Dabei ging es zum Beispiel um die Tiefe ihrer Kenntnisse zu den Anschlagsvorbereitungen, das Verfertigen propagandistischer Schriften, die Herstellung von Sprengstoffen und Sprengstoffgürteln, ihre Einbindung in ein Frauenbataillon.

Hier wurde allerdings auch deutlich, wie schwierig die Beweiserhebung in diesen Verfahren ist: Das Gericht stützte sich auf die Auswertung von Chats, auf Zeuginnen, die selbst IS-Angehörige waren, nachrichtendienstliche Berichte, die gleich mehrfach gefiltert und vermittelt wurden – weil die Aufzeichnungen und Vernehmer als Zeugen vom BND nicht zur Verfügung gestellt werden.

Marcia M. tut zwar mehr als andere Angeklagte, sie bemüht sich Rede und Antwort zu stehen statt ihre Verteidiger vorgefertigte Erklärungen verlesen zu lassen. Sie versichert immer wieder, es tue ihr leid und sie bereue, was sie getan habe. Aber es fällt ihr auch schwer, nachvollziehbar zu machen, was sie damals antrieb. Sie verstehe sich selbst nicht mehr, sie sei verblendet gewesen, erklärte sie schon beim Prozess­auftakt. Eine tiefe, innere Reue vermag das Gericht trotzdem nicht erkennen.

Das liegt vielleicht auch daran, dass ihr der Zugang zu diesen zwei Jahren beim IS tatsächlich versperrt ist, überlagert wird von dem, was danach kam. Die fünf Jahre in Gefangenschaft nehmen in ihren Schilderungen und den Plädoyers ihrer Verteidiger breiten Raum ein. Sie waren ohne Zweifel traumatisierend – auch wenn man zögert, das auszusprechen angesichts des noch viel größeren Leids der jesidischen Opfer.

Es ist deshalb vielleicht verständlich, dass der Vertreter des Generalbundesanwaltes das in seinem Schlussvortrag mit einem knappen „selbst Schuld“ abzubürsten versucht. Aber fest steht auch: Marcia M. hat einen hohen Preis für ihre „Verblendung“ bezahlt. Eindrücklich berichtet sie von dem Bombensplitter, der noch immer durch ihren Körper wandert. Den Verhören und der Haft unter Folterbedingungen. Dem Kampf ums Überleben, die alltägliche – auch sexualisierte – Gewalt in den Lagern. Fehl- und Totgeburten. Von dem totgeborenen Kind, das sie mit ihren eigenen Händen im Lager neben der Latrine verscharen musste.

Ungewisse Zukunft

Davor achselzuckend die Augen zu verschließen, könnte unter Präventions- und Reintegrationserwägungen kontraproduktiv sein. Vor dem Oberlandesgericht geht es dabei vor allem um juristische Feinheiten: Zum Beispiel die Frage, wie diese Zeit, das lange Warten auf die Rückkehr, das dadurch verzögerte Verfahren zu berücksichtigen ist.

Für Marcia M. und andere Rückkehrende wird eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Leid, das sie sich und anderen zugefügt haben, eine konkrete Ausstiegs- und Deradikalisierungsberatung aber erst beginnen können, wenn der Strafprozess abgeschlossen ist. Zu groß ist außerdem die Gefahr, dass die Berater als Zeugen vorgeladen werden, erklärt die Analystin vom Counter Extremism Project.

Marcia M. war 27, als sie ausgereist ist. Sie wird (je nach Führung) Anfang 40 sein, wenn sie das Gefängnis verlässt – und in die Verhältnisse zurückkehrt, aus denen sie in diesen Irrsinn geflohen ist. Anders als andere Frauen hat sie keine eigenen Kinder, die ihrem Leben Halt und Sinn geben – bei allen Problemen, mit denen das für diese Kinder verbunden ist. Ob sie die zwei Waisenkinder, die sie im Camp angenommen hat, wiedersehen darf, ist ungewiss.

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1 Kommentar

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  • Es tut mir leid, ich habe kein Mitgefühl für diesen Menschen.

    Es ist ein starkes Stück in ein weit entferntes Land zu gehen und dort eine Rolle in einem brutalen, diktatorischen Überwachungsstaat zu spielen. Niemand hat sie gezwungen dorthin zu gehen und sie war in der Lage rational zu verstehen, dass die Handlungen des Staates und seiner Kämpfer dort absolut unglaublich und radikal, inhuman und repressiv waren. Unter normalen Bedingungen hätte ein normaler Staat einen solchen Menschen 20 oder 30 Jahre in ein Gefängnis gepert. Unter Umständen wäre auch die Todesstrafe denkbar gewesen.

    Hier ist es aber so, dass die Frau sogar gegen ihren Heimatstadt bereit war, zu handeln. Sie wollte Terroranschläge mit ins Leben rufen, wo unschuldige, vollkommen unbeteiligte Menschen gestorben wären. Dafür kommt sie gut weg. Und ich weiß nicht, ob man den Tag ihrer Freilassung eher fürchten sollte. Viele IS-Rückererinnen sind in Deutschland zuerst in eine radikale Moschee gerannt und haben sich gleich wieder vernetzt, danach meist zum Jobcenter, um sich mit Staatsgeld zu verorgen.

    Und eine Sache bleibt für immer, Menschen aus Syrien oder Irak, die unter dem IS gelitten haben, die gerade diesen Menschen vielleicht dort erlebt haben, müssen hier in Deutschland mit ihr zusammen leben und akzeptieren, wenn sie irgendwann freigelassen wird.

    Und es gab beim IS nie irgendeinen schönen oder freundlichen Aspekt, es ging immer nur darum, Menschen zu diffamieren, zu brandmarken, zu foltern, zu vergewaltigen und zu töten. Wer dahin gegangen ist, wußte, was da stattfindet.