Provokunst in der Gaskammer: Das Kalkül des Schocks
Der Künstler Zmijewski flog aus der deutsch-polnischen Ausstellung des Berliner Gropius-Baus. Ein PR-Schub für den kommenden Leiter der Berlin Biennale.
Ende letzter Woche wurde Artur Zmijewski endlich zensiert und sein Video "Fangen" zum Skandalon. Endlich, denn dieser Vorfall ist gut für die Künstlerbiografie des 1966 Geborenen. Er zahlt sich aus in erhöhter Aufmerksamkeit und damit in noch besseren Chancen im Kunstbetrieb wie auf dem Kunstmarkt.
Der Verdacht der gewollten Provokation wurde schon mehrfach gegen den 1999 gedrehten Clip geäußert. Er zeigt acht nackte Frauen und Männer, die in einem Keller Fangen spielen und die, nachdem sich die erste Verlegenheit gegeben hat, fröhlich erregt hintereinander her jagen. Auch dann noch, als der Raum wechselt und sie jetzt in einer ehemaligen Gaskammer herumtoben. Dass die Darsteller nicht nur nackt, sondern teilweise so alt sind, dass man meinen könnte, sie hätten die Zeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung noch selbst erlebt, scheint von Zmijewski beabsichtigt.
Bislang wurde Kritik an Zmijewskis Arbeit allerdings nicht mit der Aufforderung zur Zensur verwechselt. Diesen Gefallen hat erst Gereon Sievernich, elf Jahre nach der Erstveröffentlichung des Videos, dem Künstler getan. Ein Protestanruf des Direktors des Centrum Judaicum, Hermann Simon, veranlasste Sievernich als Direktor des Berliner Martin-Gropius-Baus, das Video ohne jede Begründung oder gar Debatte aus der Ausstellung "Tür an Tür. Polen - Deutschland. 1000 Jahre" zu entfernen.
So geht es natürlich nicht. Besonders nicht in Berlin, wo Artur Zmijewski seit einem Jahr als Leiter der siebten Berlin Biennale 2012 feststeht. Diese merkwürdige, womöglich gänzlich voreilige Willfährigkeit gegenüber einem seiner Kritiker kann für die Berliner Kunstszene nur inakzeptabel sein.
Was Zmijewski will
Doch was will Zmijewskis inkriminiertes Kunstwerk überhaupt besagen? Laut Ausstellungskuratorin Anda Rottenberg spielt "Fangen" die Therapiesitzung von Traumatisierten nach. Ah, ja?! Läuft das wirklich so in der Trauma-Therapie?! Der Künstler selbst nennt als Anstoß der Arbeit seinen Auschwitz-Besuch als Aushilfslehrer. Seine Schüler verstanden nicht, wo sie sich befanden, rannten in den Todeszellen herum und rissen Witze. Gleichzeitig beobachtete er israelische Schülerinnen, die in den Gaskammern Fotos voneinander machten.
Ist das Antisemitismus, wie ihm jetzt in Berlin vorgeworfen wird? Nein, es ist nur das bewusste, dummdreiste Nachspielen solcher Reaktionen, das die ursprüngliche Tragödie als Kalauer denunziert. Nicht, ohne dies als gegen eine verachtete, "konventionelle Art des Gedenkens" gerichtet, zu rühmen.
Diese konventionelle, also ernsthafte, womöglich feierliche Art des Gedenkens ist das Bankgeschäft von gestern: Künstlerisch gesehen wirft sie keine interessante Rendite mehr ab. Es läuft im Kunst- wie im Bankengeschäft: Der Druck nach immer neuen Provokationen und Risiken ist hoch und die Konkurrenz zieht schnell nach.
Aber wirklich neue Ideen oder neue (Finanz-)Produkte haben nur die wenigsten. Vermeintlich vielversprechende Kandidaten werden hofiert und schnell werden ihnen die windigsten Derivate oder spekulativsten Kunstwerke abgenommen. Arbeiten, die von den Tauben und den Stummen handeln, von Beschädigten und Opfern, die sich noch einmal zu Opfern machen.
Keine demokratische Diskussion
Darin liegt Zmijewskis besonderer Dreh, der ihn ungeschoren davonkommen lässt, mit seinem kaltherzigen Kalkül auf den Schock. Die Zahl "80064" ist eben nur ein Tattoo und keine Häftlingsnummer, wenn sich ein 92-jähriger ehemaliger KZ-Insasse rund 60 Jahre später die verblasste Kennzeichnung der Nazis im Studio wieder auffrischen lässt, da mag sich der alte Mann noch so winden, wie es Zmijewskis 2004 entstandenes Video "80064" zeigt.
"Ja, es war keine demokratische Diskussion", erklärte Zmijewski 2007, als er von Roger M. Buergel zur documenta12 eingeladen wurde, dem Kunstkritiker Gerhard Mack. "Ich habe den Mann genötigt und missbraucht. Ich wollte ihn noch mal zum Opfer machen, um diesen Moment zu beobachten, in dem er zustimmt, Opfer zu sein." Die Zeitschrift Camera Austria konstatiert zwei Jahre später allen Ernstes: "Wenn man so will, lag bereits diesem künstlerischen Ansatz ein zutiefst demokratisches Grundverständnis zugrunde, in dem die Herstellung der Souveränität und Integrität des einzelnen eine entscheidenden Rolle spielen."
Wenn man will, konnte Zmijewskis Video "Democracies" 2009 im Kunsthaus Graz allerdings auch eine rechte Agenda bedienen, so wie der krude Zusammenschnitt Konservatives und Reaktionäres mit Banalem, Radikalem und Libertärem gleichsetzt, in einer ohrenbetäubenden Kakofonie konkurrierender Bilder und Töne von politischen Demonstrationen von rechts wie von links, von Hooligans, Jörg Haiders Beerdigung, Demonstrationen gegen Abtreibung, Militärparaden und folkloristischen Wiederaufführungen des Warschauer Aufstands und von Unruhen in Gaza.
Sich Zmijewskis Zumutungen zu erwehren, seinem Kokettieren mit dem Ungeheuerlichen, seiner Verachtung von politischem Engagement, seinem Missbrauch von Missbrauchsopfern, seinem routinierten Durchbrechen sogenannter Konventionen, kann nicht Zensur heißen. Es hülfe vielmehr, sich bestimmten Zumutungen des Kunstbetriebs zu erwehren wie etwa seinen ideologischen Spekulationsgeschäften samt des offenkundig substanzlosen PR-Talks, mit dem sie propagiert und vermarktet werden.
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