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Protesttag für Menschen mit BehinderungAuch Feiern ist voller Barrieren

Bei der Demonstration am Brandenburger Tor wird unter anderem mehr kulturelle Teilhabe gefordert. Clubs verweisen oft auf Denkmal- oder Brandschutz.

Sollten läuft feiern so für Menschen mit Behinderung so rund wie die Plattenteller in den Clubs Foto: Jonas Walzberg/dpa

Berlin taz | Über Lautsprecher ertönten am Montagmittag vor dem Brandenburger Tor die Beastie Boys: „Fight For Your Right To Party“. Anlässlich des Europäischen Protesttags zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen versammelten sich Ver­tre­te­r:in­nen zahlreicher Sozialverbände; rund 300 Menschen forderten mehr Barrierefreiheit im Alltag. Mit dabei war auch die Initiative Barrierefrei Feiern, die sich für kulturelle Teilhabe einsetzt. Denn auch in der Veranstaltungsbranche werden Menschen mit Behinderungen noch immer ausgegrenzt.

„Der Zugang zu Konzerten, Festivals oder Clubs ist für Menschen mit Behinderungen nach wie vor stark eingeschränkt“, sagte Drees Ringert, Sprecher der Initiative. Oft scheitere es schon an grundlegender Infrastruktur, etwa an fehlenden barrierefreien Toiletten oder nicht vorhandenen ebenerdigen Eingängen, die Roll­stuhl­fah­re­r:in­nen den Zutritt erschweren. Das verstößt gegen das in der UN-Behindertenrechtskonvention verankerte Recht auf kulturelle Teilhabe.

Forderungen der rund 50-köpfigen Initiative auf Einhaltung dieses Grundrechts werden von Club­be­trei­be­r:in­nen häufig mit Denkmal- oder Brandschutzauflagen abgewehrt. Ringert sieht darin vorgeschobene Argumente. „Diese Regelungen dienen leider viel zu oft als Ausrede, um keine Investitionen tätigen zu müssen.“ Sicherheit müsse selbstverständlich gewährleistet sein, aber das sei auch barrierefrei möglich.

Neben der politischen Arbeit unterstützt die Initiative Veranstaltende auch praktisch. Die gemeinnützige Beratungsagentur Wir kümmern uns, der organisatorische Arm der Initiative, begleitet Clubs und Festivals bei der Umsetzung barrierefreier Infrastruktur, wobei der ganze Prozess von der Ticketbeschaffung bis zur Abreise analysiert werden. Schon beim ersten Schritt beginne die Ausgrenzung, wie Ringert erklärt. Viele Websites seien nicht screenreaderfreundlich, spezielle Tickets für Roll­stuhl­fah­re­r:in­nen oft nur über schwer erreichbare Hotlines erhältlich. Gerade bei schnell ausverkauften Events sei das eine deutliche Benachteiligung.

Die Initiative blickt auch aus der Perspektive von Künst­le­r:in­nen mit Behinderungen auf die Kulturlandschaft. „Bands mit behinderten Mitgliedern haben oft gar nicht die gleichen Chancen, aufzutreten und dadurch bekannt zu werden“, sagt Ringert. So fehle es etwa an barrierefreien Bühnen oder Backstagebereichen – oder bereits an einer zugänglichen Anreise zum Veranstaltungsort. Es brauche ein grundsätzliches Umdenken, auch auf politischer Ebene.

Kulturelle Inklusion fehlt im Koalitionsvertrag

Hierauf zielte auch der Europäische Protesttag am Montag. Dominik Peter, Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin und Pressesprecher des Protests, sieht nun die neue Regierung in der Pflicht. Sie müsse das angekündigte 500-Milliarden-Infrastrukturpaket „intelligent für mehr Barrierefreiheit einsetzen“, sagte er auf Anfrage der taz.

In puncto Inklusion verspricht der Koalitionsvertrag einige Verbesserungen. So möchte die Regierung etwa die Barrierefreiheit sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich angehen, sowie ein ein Bundeskompetenzzentrum für Leichte Sprache und Gebärdensprache aufbauen. Peter mahnt aber auch dazu, die Erwartungen nicht zu hoch zu schrauben. „Bereits andere Koalitionsverträge blieben dem Wähler schlussendlich viele Punkte schuldig“, so Peter.

Im Bereich kulturelle Inklusion fehlen im Vertrag konkrete Maßnahmen. Ringert schlägt vor, dass Fördermittel für Kultureinrichtungen künftig an Barrierefreiheitsstandards geknüpft werden. Diese Standards müssten gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen entwickelt werden. Denn: „Es darf nicht sein, dass Menschen ohne Behinderung über Menschen mit Behinderung entscheiden.“

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