Proteste zu katalanischer Unabhängigkeit: Vermummte wollen ins Parlament
Etwa 180.000 Menschen demonstrieren zum Jahrestag des Unabhängigkeitsreferendums in Barcelona. Die Polizei wendet Gewalt an.
Doch schnell lief alles aus dem Ruder. „Buch, Rücktritt“, brachten viele lautstark ihren Wunsch nach zum Ausdruck. Sie verurteilen einen brutalen Polizeieinsatz gegen radikale Unabhängigkeitsbefürworter, den der katalanische Innenminister Miguel Buch am vergangenen Samstag angeordnet hatte.
Ja, selbst „Torra, Rücktritt“ war vereinzelt auf Pappschildern zu lesen. Gegen Ende der Kundgebung versuchte dann eine größere Gruppe von Vermummten gar, ins Parlament einzudringen. Die katalanische Polizei, die Mossos d'Esquadra, schlug gnadenlos zu.
Hinter diesen Protesten steckten womöglich Mitglieder der „Komitees zur Verteidigung der Republik“ (CDR), die vor einem Jahr noch unter dem Namen „Komitees zur Verteidigung des Referendums“ die konkrete Organisation der Abstimmung übernommen hatten. Torra hatte noch am Morgen versucht, diese Gruppen nach dem Zwischenfall vom Samstag zu beruhigen. „Übt Druck aus, das ist gut so“, hatte er sich an die CDRs gerichtet. Dass dieser Druck sich schließlich gegen ihn selbst wenden würde, hatte er nicht erwartet.
Straßen und Bahnverbindungen blockiert
Auch vor dem Kommissariat der spanischen Nationalpolizei im Zentrum Barcelonas versammelten sich Tausende von Protestierenden. Sie hielten den Beamten ihren Einsatz von vor einem Jahr vor. Damals stürmte die spanische Polizei sowie die paramilitärische Guardia Civil die Wahllokale, knapp 1.000 Menschen wurden dabei verletzt. Dennoch fanden 43 Prozent der Wahlberechtigten den Weg an die Urnen. 90 Prozent von ihnen sprachen sich für die Loslösung von Spanien aus.
Keine vier Wochen später verkündete der damalige katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont im Parlament die „katalanische Republik“. Madrid löste daraufhin seine Regierung auf und stellte Katalonien für mehrere Monate unter Zwangsverwaltung. Sieben Politiker, darunter Puigdemont, leben seither im Exil, neun befinden sich in Untersuchungshaft. Ihnen alle drohen Verfahren unter anderem wegen Rebellion.
Die Unabhängigkeitsbewegung hatte bereits vor der Demonstration am Abend mobil gemacht. Überall in der nordostspanischen Region hatten die Unabhängigkeitsbefürworter Straßen und Bahnverbindungen blockiert. In Girona besetzte eine Gruppe von Aktivisten die Gleise des Hochgeschwindigkeitszuges, der Spanien mit Frankreich verbindet. Auch der Verkehr auf der Autobahn AP-7 an die Grenze wurde zeitweise unterbrochen. Die Studenten streikten.
Auch der Ex-Regionalregierungschef Puigdemont meldete sich aus Brüssel zu Wort. „Lasst uns nicht abweichen vom einzig möglichen Weg in voller Demokratie zu leben: Der (katalanischen) Republik und ihrer internationalen Anerkennung“, schrieb er zunächst auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Nach den Zwischenfällen vor dem Parlament fügte er hinzu: „Wenn sie Kapuze tragen, sind sie nicht die vom 1. Oktober. Wenn sie Gewalt anwenden, sind sie nicht die vom 1. Oktober. Wir haben alles mit offenen Gesicht und friedlich gemacht. Auf diese Weise haben wir vor einem Jahr über einen autoritären Staat gewonnen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau