Proteste in Los Angeles: Aggressive Stimmung auf allen Seiten
Während US-Präsident Trump die Situation eskaliert, hoffen manche Aktivist:innen, durch Chaos den bedrohten Migrant:innen Zeit zu verschaffen.
Um sie herum surren die Helikopter am nachtschwarzen Himmel, der Geruch von Tränengas und Marihuana hängt in der Luft. An jedem Gebäude in der Second Street neben der Little Tokyo Mall sind Schmierereien mit „Fuck ICE“, Fuck Trump“, „Fuck La Migra“, wie die Einwanderungsbehörde auf Spanisch genannt wird, zu sehen. ICE ist die Ausländerbehörde, deren Razzien gegen undokumentierte Migrant:innen in Los Angeles die Proteste ausgelöst haben.
Gleich wird das Chaos losgehen: Jemand hat eine Mülltonne in die Mitte der Straße geschoben und angezündet. „Geh näher ran und mach ein Video davon!“, befiehlt Katie. Dutzende stehen schon da und filmen. Vielleicht hundert, vielleicht zweihundert Meter weiter stehen die Polizist:innen wie in Reih und Glied.
Soldaten gegen die eigene Bevölkerung
Haben die Drei keine Angst?
„Nee, das ist Adrenalin, ein Abenteuer“, antwortet der Freund von Katie Thompsons Freundin und beißt in ein Sandwich. Thompson, 20 Jahre alt, lange Cornbraids, viele Tattoos, viele Ringe, nickt zustimmend. Sie seien hier, um Chaos zu stiften. So wollen sie die ICE-Festnahmen verlangsamen und Zeit gewinnen: damit möglichst viele Migrant:innen so schnell es geht einen Aufenthaltsstatus beantragen können.
Als Reaktion auf die tagelangen Proteste entsandte US-Präsident Donald Trump gegen den Willen des kalifornischen Gouverneurs am Sonntag zunächst 300 Nationalgardisten nach L.A. und verdoppelte die Zahl der Truppen einen Tag später. 2.000 sollten es insgesamt werden, inzwischen spricht Trump von 4.000. Am Montag trafen außerdem 700 Marineinfanteristen ein – eine Entscheidung, die ohne die örtliche Polizei getroffen wurde.
Soldaten gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen, ist ein Tabubruch. Unter besonderen Umständen kann der Gouverneur eines Bundesstaats die Unterstützung der Nationalgarde für die Polizei anfordern. Jetzt ist das Gegenteil der Fall – Trump schickt die Nationalgarde gegen den Willen des Gouverneurs. Der Staat Kalifornien will die US-Regierung deshalb verklagen. Rob Bonta, Kaliforniens Generalstaatsanwalt, sagte, Trump habe die Souveränität des Bundesstaates mit Füßen getreten.
Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom warf Trump „Machtmissbrauch“ vor. Er glaubt, dass Trumps Entscheidung, die Armee zu schicken, wohl kalkuliert ist. Man wolle eine Krise fabrizieren. Die Menschen in Los Angeles bat er, friedlich zu bleiben. „Gebt ihnen nicht das Spektakel, das sie wollen.“
„I love the thrill!“
Doch die Stimmung auf allen Seiten ist aggressiv, kaum jemand scheint sich um die Worte Newsoms zu scheren. Demonstrationen gegen die Abschiebungen gibt es auch in San Francisco, New York und Atlanta, in vielen weiteren Städten gibt es Aufrufe zum Protest.
Auch Katie Thompsons Bruder müsste irgendwo hier sein, erzählt sie, auf der Gegenseite: Er ist bei den Marines. Ihre Familie stammt aus den Philippinen. Die Position, die ihr Bruder jetzt beim Militär hat, hat er sich sein Leben lang hart erarbeitet. Dass er jetzt gegen demonstrierende Migrantinnen und Migranten vorgehen muss, das gefällt ihm nicht. Aber er würde niemals etwas tun, was seinen Job aufs Spiel setzen würde. Katie zuckt mit den Schultern. Sie und ihre Freundin verdienen ihr Geld mit Social Media. Onlyfans, sagt sie gleichmütig. Sowieso sei Los Angeles eine toxische Stadt. Sie wolle nach Texas zurückziehen, wo sie herkomme.
Ein fremder Typ läuft vorbei und schaut begeistert auf die Mülltonne, aus der Flammen aufsteigen. „I love the thrill“, grinst er. „Ich hätte sie gerne selber angezündet“. Kurz darauf rennt er in die Nähe der Mülltonne. Irgendwo ist ein lauter Knall zu hören, die Polizei schießt Gummigeschosse, überall ist Tränengas.
Die Polizisten nähern sich jetzt den Demonstranten. Drei junge Aktivist:innen mit rosafarbenen Masken fragen im Vorbeigehen: „Geht’s dir gut, brauchst du Hilfe?“ Sie verteilen Wasser und gehören der Community Self-Defense Coalition an, einer Graswurzelorganisation zum Schutz von Migrantenrechten. Auf der Straße rennen die Menschen in die entgegengesetzte Richtung der Polizisten. Einige kämpfen mit Atemnot, allen kullern die Tränen übers Gesicht.
„Komm, lass uns von hier verschwinden“, schreit jemand.
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