Proteste in Los Angeles: Trump braucht das Spektakel
Mit Abschiebungen und der Nationalgarde inszeniert Donald Trump die Eskalation in Kalifornien. Er weiß, wie er seine Wählerschaft bei Laune hält.

A ls die Abschiebebehörde ICE sich am Freitag vergangener Woche in Los Angeles für ihre Verhaftungswelle vorbereitete, war auch eine TV-Persönlichkeit vor Ort: Phil McGraw, ein Host des konservativen Sender MeritTV. Einen Tag vor und einen Tag nach den Massenverhaftungen bekam McGraw zudem Exklusivinterviews mit Trumps Abschiebebeauftragten Tom Homan.
Denn die Regierung will nicht nur Migranten aufspüren und sie aus ihrem Leben reißen, sondern auch die Videos davon verbreitet wissen. Schon im Januar, wenige Tage nach Trumps Amtseinführung, war McGraw direkt bei einer ICE-Aktion in Chicago eingebettet, wo er die Migranten während ihrer Verhaftung interviewte.
Auch die Posts des Präsidenten zu dem Angriff auf die Migrantencommunitys in Kalifornien könnten einen Katastrophenfilm hinterlegen: „Illegale Ausländer und Kriminelle sind in eine einst große amerikanische Stadt, Los Angeles, eingefallen und haben sie besetzt“, schrieb Trump auf Truth Social. Er versprach, L. A. „zu befreien“. Der Vizestabschef und weiße Nationalist Stephen Miller sprach von einem „Kampf, um die Zivilisation zu retten“.
Als sich Bürger:innen der Stadt am Freitag den Verhaftungen in den Weg stellten, und bei Demos hier und dort auch randalierten, nutzte Trump das, um das Bild einer im Chaos versunkenen Stadt zu schaffen, und seinen rechtswidrigen Einsatz der Nationalgarde zu rechtfertigen. Einen Mann, der Steine auf Abschiebefahrzeuge geworfen hatte, setzte der Inlandsgeheimdienst FBI auf eine Most-Wanted-Liste, zusammen mit Mördern und internationalen Drogenhändlern.
Trump kann seine Versprechen nicht halten
Weshalb hält Trump es für nötig, die Lage so bildgewaltig zu eskalieren? Ende Mai soll Stephen Miller ICE-Beamte angeschrien haben, er wolle 3.000 Verhaftungen von Migranten pro Tag. Im Wahlkampf hatte Trump angekündigt, Abermillionen von „Illegalen“ deportieren zu wollen.
Insgesamt leben etwa 11 Millionen Einwanderer ohne Papiere in den Staaten, von denen viele in der Landwirtschaft, auf Baustellen oder im Dienstleistungsgewerbe arbeiten. Sie alle aus dem Land zu werfen ist nicht nur logistisch unmöglich, sondern wäre auch ein Schlag in die Magengrube der US-Wirtschaft.
Der Präsident weiß oder ahnt zumindest, dass er seine Versprechen nicht erfüllen kann. Um seine Wählerschaft dennoch zu befriedigen, braucht er die Bilder der Abtransporte, die Bilder von Nationalgardisten, die vor Abschiebeknästen aufmarschieren, braucht Trump die sadistische Inszenierung.
„Verschwindenlassen“ in Hochglanzvideos
Im März hatte die Regierung sich einem Richterspruch widersetzt und 238 Venezolaner in einen mutmaßlichen Folterknast nach El Salvador abgeschoben. El Salvadors Präsident, der Crypto Bro und Kryptofaschist Nayib Bukele, postete daraufhin ein Video auf X, das auch Trump teilte: Truppen, Blaulicht, die abgeschobenen Männer, die aus einem Flugzeug gezerrt und kahl geschoren werden, alles hinterlegt mit ominöser Musik.
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Bereits in den 1970ern und 1980ern waren die USA mit rechten Diktaturen in Lateinamerika verbunden, deren Spezialität es war, politische Gefangene zu foltern und „verschwinden zu lassen“. Nur gab es davon keine Hochglanzvideos.
In einem Essay für das Magazin Jewish Currents schreiben die Autoren Dennis Hogan und Matthew Ellis, Trump und Bukele hätten die Abschiebungen „schamlos in ein Theater verwandelt“. Bukele führe die heutigen Faschisten Lateinamerikas an, „indem er die Taktik des Verschwindenlassens für das Zeitalter der sozialen Medien neu erfindet“.
Natürlich ist die brutale Behandlung von Migranten nichts Neues. Rechtlich fragwürdige Verhaftungen von Ausländern gab es auch unter den Vorgängerregierungen von Bush, Obama und Biden. Doch wurden diese Menschenrechtsverletzungen nicht in derselben Weise zelebriert, schreiben Hogan und Ellis. Im „Krieg gegen den Terror“ etwa wurden die internationalen Foltergefängnisse der CIA als „black sites“ bezeichnet – ein Begriff, dem die Geheimhaltung eingeschrieben ist.
Widerstand gegen den Zynismus
Nun lodert Los Angeles schon wieder. Verantwortlich sind nicht wie im Januar die Waldbrände, sondern der Einsatz von Truppen gegen den Willen der kalifornischen Regierung. Vergangenes Jahr erst war der Film „Civil War“ in die Kinos gekommen, in dem es um verfeindete Rumpfstaaten geht, die sich auf dem einstigen Staatsgebiet der USA bekriegen. Für ein Volk, das so beständig das Mantra von der eigenen Auserwähltheit wiederholt, haben die US-Amerikaner ohnehin eine seltsame Faszination für apokalyptische Dystopien, die ihren eigenen Untergang zeigen.
„Die Politik eines Imperiums im Niedergang ist immer eine Mischung aus Grausamkeit und Lächerlichkeit“, schrieb der Kunsthistoriker T. J. Clark im Januar in der London Review of Books. Er bezeichnet Trump als „Frühwarnsignal“ einer Welt, die sich nur halb an die neue Wirklichkeit angepasst hat. „Natürlich ist er nicht so dumm zu glauben, dass er oder irgendjemand Amerika wieder groß machen könnte; aber seine Politik muss einen Kurs steuern zwischen den Anhängern, die daran glauben oder es sich vorgaukeln lassen, und denen, vielleicht der Mehrheit, die nur zum Spaß dabei sind. Sie sind genauso zynisch wie er. Oder besser gesagt, sie nehmen das Spektakel ernst.“
Doch die Antwort auf Trumps Zynismus lautet nicht noch mehr Zynismus. Die Reaktionen werden spektakulär und unspektakulär ausfallen. Da wäre der telegene kalifornische Gouverneur Gavin Newsom, den die Medien jetzt als „Gegenspieler“ Trumps ins Spiel bringen – ihm könnte die Krise helfen, 2028 als Präsidentschaftskandidat der Demokraten nominiert zu werden.
Und da sind auch die Bürger, die spontan zivilen Ungehorsam leisten, wenn Trumps ICE-Schergen ihre Freunde und Mitarbeiter aus dem Baumarkt entführen. Widerstand ist keineswegs zwecklos. Er ist vielmehr alternativlos.
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