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Proteste in KeniaWeg mit den „Bills“

Jugendliche demonstrierten gegen den „Finance Bill“ zur Steuererhöhung. Präsident „Bill“ Ruto schickt Polizeikugeln und Tränengas. Nun protestieren sie auch gegen ihn.

Jugendliche in Kenia beim Protest gegen Steuererhöhungen Foto: Boniface Muthoni/dpa

B ill ist die Kurzform des englischen Vornamens William. Bill ist auch das englische Wort für einen Gesetzentwurf. Als Kenias Jugend gegen Polizeikugeln und Tränengas anmarschierte, um gegen den „Finance Bill“ zu protestieren, den Haushalts­gesetzentwurf, zogen sie sofort die Parallele zu Präsident William „Bill“ Ruto. Der zog den Entwurf zurück. Nun verlangten die Jugendlichen, dass nach dem einen „Bill“ auch der andere „Bill“ geht.

Der britische Premierminister Harold Wilson prägte 1964 den Spruch, wonach in der Politik eine Woche eine lange Zeit sei. Er muss dabei an Kenia gedacht haben. Nur kurz vor diesen Unruhen war Ruto jubelnd aus den USA zurückgekehrt, wo Präsident Joe Biden ihm gerade Milliardenkredite und -hilfen versprochen hatte. Die sollten Kenia das Leben leichter machen, in einer Zeit hoher Inflation.

Tat es aber nicht. Als Mitte Juni der Staatshaushalt 2024/25 ins Parlament eingebracht wurde, standen darin lauter neue Steuern. Die Jugend war besonders empört über eine neue Steuer auf Internetdatenverkehr, für die junge „Generation Z“ – einfach „Jenzi“ ausgesprochen – genauso überlebenswichtig wie Essen.

Also protestierten sie. Es gab Blutvergießen, der Staat griff zu Gewalt. Nach vielen Toten kapitulierte der Präsident. Aber die Rücktrittsforderungen blieben.

Das Wort „Bill“ wurde zum Schimpfwort

Wie konnte innerhalb kürzester Zeit aus Jubel Gewalt werden? Kenia hat eine hohe Schuldenlast von über 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Hälfte davon, über 42 Milliarden US-Dollar, sind Auslandsschulden. Das ist nicht nur für Kenia ein Problem. Afrikanische Länder müssen für Kredite achtmal so hohe Zinsen zahlen wie reiche Industrienationen. Japan hat viel höhere Schulden, seine Zahlungslast ist trotzdem viel geringer. Nur wenige Länder in Afrika, nämlich Botswana, Mauritius und Ruan­da, gelten als risikoarm, weil sie eine gute öffentliche Rechnungsführung vorweisen.

Kenias Landeswährung, der Schilling, verfällt seit 2023 rapide, die Lebenshaltungskosten steigen ins Unerträgliche. Präsident Ruto gewann die Wahlen 2022 knapp mit dem Versprechen, den Armen das Leben zu erleichtern. Nun wollte er gegen die drohende Schuldenkrise mit höheren Steuern vorgehen, unter denen die Ärmsten am meisten gelitten hätten.

Plötzlich wurde das Wort „Bill“ zum Schimpfwort – für diesen Gesetzentwurf und für diesen Präsidenten. Es ist ja nicht so, dass die Kenianer sich ihrer Schuldenkrise nicht bewusst wären. Als 2021 der Internationale Währungsfonds Kenia einen Kredit von 2,3 Milliarden US-Dollar anbot, um bei der Bewältigung der Covidpandemie zu helfen, gab es eine heftige Kampagne dagegen. Denn viele afrikanische Länder wurden damals zu Kreditaufnahmen verleitet, die sie gar nicht brauchten.

Kenias Proteste könnten Nachahmung finden

Kredite aus China kommen zu noch ungünstigeren Bedingungen. Die Zinsen sind höher, die Fristen kürzer und die Bedingungen genauso streng wie bei Geschäftsbanken, einschließlich eines Mitbestimmungsrechts bei den kreditfinanzierten Projekten. Zu den afrikanischen Ländern, die Geld aus China geliehen haben, gehören Sambia, Uganda und Kenia. Sie sind bereits enttäuscht.

Kenias Proteste könnten sich also in anderen afrikanischen Ländern wiederholen. Wenn es dazu kommt, werden sie bereits schwache Volkswirtschaften weiter zerstören. Wenn nicht, werden die Regierungen unbekümmert weiter Kredite aufnehmen.

Das Ergebnis ist das gleiche: Auswärtige Gläubiger übernehmen die Kontrolle der Wirtschaft. Eine Rekolonisierung Afrikas droht, mit dem Unterschied, dass die Kolonialmacht keine politische Verantwortung übernimmt.

Aus dem Englischen: Dominic Johnson

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