Proteste in Jordanien: Kaum Vertrauen, kaum Freiheit
Die hohen Treibstoffpreise waren nur Auslöser der Proteste in Jordanien. Dahinter steckt ein tiefes Bedürfnis nach gesellschaftlichem Wandel.
E s ist kein verspäteter Arabischer Frühling. Die Proteste, die Jordanien gut zwei Wochen lang in Aufruhr versetzt haben, haben ihre Wucht verloren. Die Sicherheitskräfte haben Dutzende Protestteilnehmer verhaftet, darunter einen Ex-Bürgermeister. Und der König Abdullah II. hat die Regierung angewiesen, die Steuern auf Kerosin einzufrieren. Ob dies genug sein wird, um den Unmut in der Gesellschaft zu besänftigen, bleibt abzuwarten. Doch eines zeigen die jüngsten Proteste gewiss: was sich ändern soll, damit sie nicht wieder aufflammen.
Anfang Dezember organisierten Lkw-Fahrer Streiks und Proteste gegen die Erhöhungen der Treibstoffpreise, die sich zu einem breiteren Protest gegen die steigenden Lebenskosten und auch gegen die Führungsklasse ausweiteten. Vier Polizisten wurden getötet – offenbar durch radikale Islamisten, die wenig mit den Protesten zu tun haben. Doch das Land steht unter Schock.
Jordanien gilt bislang als sicherer Hafen in einer Region, die von Konflikten geplagt ist. Das Königreich, ressourcenarm und teils auf ausländische Hilfe angewiesen, hat allerdings in den vergangenen Jahren mehrere Rückschläge erlebt. Die Konflikte in Syrien, im Jemen und Irak ließen die Zahl der Geflüchteten im Land rasch auf mehrere hunderttausend steigen. Die Coronapandemie trieb Arbeitslosigkeit und Armut in die Höhe.
Seine Stabilität bewahrte das Königreich früher, indem es den Stämmen, traditionell das „Rückgrat der Monarchie“, Unterstützung und Jobs gewährte. Außerdem wurden wichtige Güter stark subventioniert. Doch der Staat hat inzwischen Schulden für mehr als 40 Milliarden Dollar und einen aufgeblasenen öffentlichen Dienst. Die Sparmaßnahmen, die das Land mit dem Internationalen Währungsfonds vereinbart hat, haben dazu geführt, dass einige Subventionen gestrichen wurden. Dies trifft jetzt auf einen Anstieg der Lebenskosten durch die Pandemie und den Ukrainekrieg.
Serena Bilanceri
ist freie Auslandskorrespondentin für Jordanien und den Nahen Osten. Jahrgang 1983, lebt in Bremen und Amman. 2020 erhielt sie ein IJP-Stipendium. Seitdem berichtet sie unter anderem über soziale Themen, Menschenrechte und Politik in Nahost. Geboren in Pisa, hat sie in Deutschland, Spanien, Großbritannien und Italien studiert.
Der Arabische Frühling ging an Jordanien relativ spurlos vorbei. In den vergangenen Jahren gab es aber immer wieder Proteste, gegen Preiserhöhungen, Korruption oder niedrige Gehälter. Sie wurden unterdrückt, schwelen aber weiter unter der Oberfläche. Vor zwei Jahren gab es Massenverhaftungen nach Streiks der Lehrergewerkschaft, die Gewerkschaft selbst wurde verboten. 2021 und Anfang 2022 hatte es wieder vereinzelte Demonstrationen gegeben, laut Medienberichten soll teilweise sogar der König kritisiert worden sein, was in Jordanien ein Tabu ist.
Die jüngsten Proteste haben sich an den hohen Benzin- und Heizölpreisen entzündet, doch diese sind nur ein Symptom tiefer sitzender Probleme. Es geht auch um Armut und Perspektivmangel, vor allem für die Jüngeren. Die Arbeitslosigkeit liegt in Jordanien bei 22,6 Prozent, unter jungen Menschen sogar bei knapp 50 Prozent. Der Durchschnittslohn beträgt etwa 700 Euro, der Mindestlohn etwa 350 Euro. Es geht aber ebenso um Repression und mangelndes Vertrauen in die politischen Institutionen des Landes. Laut einer jüngsten Umfrage des Forschungsinstituts Nama und der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung denken 64 Prozent der befragten Student*innen, dass ihr Stamm ihre Interessen am besten repräsentiert, nur 5 Prozent denken jedoch dasselbe über die Regierung. 63 Prozent gaben an, nicht für politische Parteien stimmen zu wollen. Auf die Frage, welches System das beste sei, um Probleme zu lösen, war die meistgewählte Antwort: „Ein System geregelt durch das islamische Gesetz, ohne politische Parteien oder Wahlen“.
Jordanien ist eine Monarchie mit parlamentarischem System, der König hat aber einen großen Einfluss auf das politische Leben. Bei den Wahlen haben die Stämme Gewicht, Parteien spielten bislang keine große Rolle – die einzig erfolgreichen waren die islamischen. Bei den letzten Parlamentswahlen gingen lediglich knapp 30 Prozent der Wähler*innen an die Urnen.
Das soll sich jetzt ändern: König Abdullah II. hatte vor über einem Jahr politische Reformen angekündigt, die die Rolle der Parteien stärken und das politische System „modernisieren“ sollen. Die Frage ist nur: Wie? Denn im Ranking der US-Organisation Freedom House wurde Jordanien als „nicht frei“ herabgestuft, ein jüngster Bericht der NGO Human Rights Watch beklagt die Verfolgung und Schikanierung von Aktivist*innen, Journalist*innen und Gewerkschaftler*innen. Die Stabilität scheint zunehmend vom Sicherheitsapparat gewährleistet zu werden. Selbstzensur ist sogar unter Journalist*innen sehr verbreitet. Im April hatte der Halbbruder des Königs, Prinz Hamza, angekündigt, auf seinen Titel zun verzichten. In jordanischen Medien hat man kaum davon gelesen. Und über die Vorfälle rund um die Lehrergewerkschaft gab es vor zwei Jahren eine Nachrichtensperre.
Es ist ein Widerspruch, dass demokratische Reformen eingeleitet werden, der demokratische Raum aber schrumpft und die öffentliche Debatte eingeschränkt ist. Zugespitzt formuliert könnte man also fragen: Ist Jordanien bereit für die Demokratie? Denn Demokratie funktioniert nicht nur durch Gesetze, sondern braucht den Willen der Gesellschaft, sie zu schaffen, deren Vertrauen, dass ein Wandel möglich ist, und nicht zuletzt die Freiheit und die Mittel, diesen Wandel zu steuern.
Auch die häufigen Regierungsumbildungen lassen offenbar viele Jordanier*innen unbeeindruckt, denn sie haben das Vertrauen verloren, dass sich etwas ändern kann. Die Probleme zu ignorieren oder Dissens zu ersticken wird ebenfalls nicht helfen. Es kann nur die Menschen in ihrer Überzeugung bestärken, die regierende Elite interessiere sich nicht für sie. Ein tiefer Wandel auf sozialer und politischer Ebene ist nötig. Sonst drohen die angestrebten Reformen ins Leere zu laufen.
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