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Proteste in Frankreichs Parlament

■ Opposition gegen Militärabkommen mit Deutschland

Paris (taz) – Wenige Stunden vor einer von der Opposition erzwungenen parlamentarischen Aussprache über das wochenlang geheimgehaltene deutsch-französische Militärabkommen versuchte die Regierung in Paris gestern ein Einlenkungsmanöver: Es habe ein „kleines Mißverständnis“ gegeben, erklärte ihr Sprecher Alain Lamassoure. Tatsächlich habe der Inhalt des Abkommens, das auch eine nukleare Zusammenarbeit nicht ausschließt, zuerst den Parlamentariern und erst danach der Öffentlichkeit bekannt werden sollen. Ein „Formfehler“ habe das geplante Procedere ins Gegenteil verkehrt.

Der „Formfehler“ hatte bereits am Dienstag abend in der Nationalversammlung zu tumultartigen Situationen geführt, als die sozialistische und kommunistische Opposition die geplante Debatte über die Abschaffung der Militärpflicht unterbrach, um Aufklärung über das Abkommen zu verlangen, das Präsident Jacques Chirac und Kanzler Helmut Kohl am 9.Dezember klammheimlich auf dem letzten deutsch-französischen Gipfel in Nürnberg getroffen hatten. Nur die Chefs der Parlamente sowie die Mitglieder der Verteidigungskommissionen waren in das Vorhaben eingeweiht worden. Die verblüffte Öffentlichkeit hatte erst am vergangenen Samstag davon erfahren, als die Tageszeitung Le Monde Ausschnitte des Abkommens veröffentlichte.

Der einstige Verteidigungsminister und linke Gaullist Jean- Pierre Chevènement prognostizierte am Dienstag abend das „Ende Frankreichs“, sollte sich die militärische Zusammenarbeit konkretisieren. Der Kommunist Alain Bocquet beklagte die „Ohrfeige gegen das Parlament in einer zentralen nationalen Angelegenheit“. Dann nahm er eine militärisch stramme Stellung ein, und rief: „Befehle werden wir nicht empfangen.“ Selbst der gaullistische Parlamentspräsident Philippe Séguin, Mitglied der Regierungspartei RPR und langjähriger politischer Weggefährte von Präsident Chirac, gab seinem Ärger Ausdruck. Séguin, einer der profiliertesten Euroskeptiker Frankreichs, hatte seit Dezember Stillschweigen über das Abkommen wahren müssen. Am Dienstag zeigte er dafür umso größeres Verständnis für den Protest der Opposition und tat das Nötige, um die gestrige Aussprache zu organisieren.

Die komplette französische Linke – die außerhalb des Parlaments befindliche eingeschlossen – fand sich gestern hinter der Kritik zusammen. Sozialistenchef Lionel Jospin bezeichnet den Inhalt des Geheimabkommens als „Natoisierung Europas“ und warnte vor einem daraus resultierenden Gefolgschaftszwang gegenüber Deutschland. Mitglieder von Friedensgruppen, die angesichts des deutsch- französischen Abkommens zu gemeinsamen Protesten aufriefen, hatten bereits in den Vortagen gefragt, warum Frankreich weiterhin Atomwaffen produziere, warum es in diesem Jahr wiederum 20 Milliarden Francs (rund sechs Milliarden Mark) seines knappen Etats dafür ausgebe und welche Gegner es damit anpeile. Was Deutschland betrifft, so erklärt sich jetzt ein Teil des diplomatischen Schweigens von Helmut Kohl zu den 1995 weltweit kritisierten Atomtests von Freund Jacques Chirac: Möglicherweise dachte er dabei an die Vorteile der Tests für die künftige atomare Zusammenarbeit. Dorothea Hahn

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