Proteste in Bulgarien: „Genozid an Frauen stoppen!“
In Bulgarien protestieren Tausende gegen Gewalt an Frauen. Nach einem brutalen Angriff auf eine 18-Jährige und Justizversagen fordern sie Reformen.
Auslöser der Proteste ist der Fall einer 18-Jährigen aus der Stadt Stara Zagora. Die junge Frau war bereits am 26. Juni von ihrem Ex-Freund brutal überfallen worden. Bei dem Angriff waren ihr mit einem Plastikmesser zahlreiche Stichwunden zugefügt, die Nase gebrochen sowie der Kopf rasiert worden.
Kurz darauf war der mutmaßliche Täter festgenommen worden. Der Vorwurf lautete auf „Körperverletzung mittleren Grades“. Danach legte der 26-Jährige in zweiter Instanz Berufung vor dem Bezirksgericht Stara Zagora ein und kam wieder auf freien Fuß. Eine gerichtsmedizinische Untersuchung war zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich im vorliegenden Fall um eine „leichte Körperverletzung“ handele.
Unter wachsendem öffentlichen Druck wurde er am vergangenen Sonntag erneut in Haft genommen. Plötzlich war die Rede von zwei Textnachrichten mit Todesdrohungen, die er unmittelbar vor dem Tat an seine frühere Partnerin geschickt haben soll. Wie das Nachrichtenportal balkan insight berichtet, soll er zum Zeitpunkt des Überfalls wegen einer anderen Tat eine Bewährungsstrafe verbüßt haben.
Großes Entsetzen
Der Fall hatte am vergangenen Wochenende bereits Frauengruppen auf den Plan gerufen. Die Tatsache, dass diese Misshandlungen lediglich als leichte Körperverletzungen qualifiziert wurden, hatte Entsetzen ausgelöst. Das sende eine Botschaft an alle Opfer von Missbrauch, dass ihr Schmerz und Schrecken ungestraft bleibe, heißt es in einer Stellungnahme der Bulgarischen Stiftung für Frauen.
Das Parlament hatte kürzlich in zweiter Lesung mehrere Änderungen des Gesetzes gegen häusliche Gewalt angenommen. Darin sind unter anderem ein verbessertes System zur Anzeige geschlechtsspezifischer Straftaten, sowie die Bildung eines nationalen Rates zur Prävention und zum Schutz gegen häusliche Gewalt vorgesehen.
Kritiker*innen bemängeln, dass diese Neuerungen nicht ausreichten. So klammerten die Bestimmungen nichteheliche Beziehungen nach wie vor aus. Das geht aus einem offenen Brief hervor, den 48 Organisationen am Wochenende unterzeichneten. Darin werden weitere Änderungen gefordert.
Laut Polizeiangaben wurden in Bulgarien in den ersten drei Monaten dieses Jahres 18 Frauen getötet. Das Land hat bislang die Istanbul-Konvention – das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt – nicht ratifiziert. Das Hauptargument der Gegner*innen: Unter Verwendung des Begriffes „Gender“ legalisiere die Konvention ein drittes Geschlecht.
Erster Rücktritt
Im Zuge der Proteste ist übrigens bereits der erste Kopf gerollt. Am Dienstag gab der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt von Stara Zagora, Georgi Widew, seinen Rücktritt bekannt, wie das bulgarische Nachrichtenportal mediapool.bg berichtete.
Entsprechenden Druck hatte offensichtlich der Generalstaatsanwalt Borislaw Sarafow aufgebaut. Er sei entsetzt über Widews Vorgehen, der nicht sofort eine dauerhafte Festnahme des Beschuldigen beantragt habe. Offensichtlich verfüge Widew nicht über die erforderlichen Fach- und Führungsqualitäten für seinen Posten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung