Proteste in Bosnien und Herzegowina: Demokratie von unten

Die Protestbewegung in Bosnien und Herzegowina hat sich eine Struktur gegeben. Nun bündelt sie ihre Forderungen und veröffentlicht sie.

Die Proteste richteten sich gegen die weit verbreitete Korruption Bild: dpa

SARAJEWO taz | Der Hauptsaal des Hauses der Jugend in Sarajevo ist oval. Im unteren Zuschauerraum finden mindestens 400 Leute Platz. Und auf den Emporen drängen sich noch mehr Menschen. Das Mikrofon ist von allen Seiten gut sichtbar.

Es ist der ideale Ort für das basisdemokratische Plenum, das seit zwei Wochen tagt. Hier versammeln sie sich die Demonstranten mehrmals in der Woche und diskutieren nach den gewaltsamen Demonstrationen vom 7. Februar ihr weiteres Vorgehen.

Zwei junge Frauen leiten souverän die Sitzung. Jeder hat das Recht zu reden – aber nur zwei Minuten. Als ein sich zum Agitator berufener Mann die Zeit überschreiten will, nehmen die jungen Frauen ihm das Mikrofon kurzerhand wieder ab.

Vertreter politischer Parteien sind nicht zugelassen. Frauen und Männer, Junge und Ältere treffen sich hier – Arbeiter, Studenten, Intellektuelle, Künstler und Rentner. Gut gekleidete bürgerliche Damen sitzen neben Arbeitslosen und Straßenkämpfern mit zerzausten Haaren.

Botschaft an Nationalisten

Eine arbeitslose Frau schreit ihr Unglück heraus. Sie weiß nicht, wie sie mit ihrem Kind noch überleben kann. Sie klagt unter großem Beifall die Vertreter der herrschenden Parteien als Diebe an, die sich nicht um das Wohl des Volkes kümmerten, sondern nur die eigenen Taschen füllten. Doch der Ruf eines Redners, zum Villenviertel der Reichen zu ziehen, findet nur wenig Beifall.

Der braust auf, als ein Kriegsinvalide mittleren Alters in die Menge ruft: „Ich bin Jude, ich bin Muslim, ich bin Katholik und Orthodoxer, ich bin ein Bosnier.“ Nationalismus hat in diesem Saal nichts zu suchen. Das ist auch eine Botschaft an all jene kroatischen und serbischen Nationalisten in Mostar und Banja Luka, die nach den ersten Demonstrationen die Bewegung als „bosniakisch-nationalistisch“ diffamieren wollten.

Als Jovan Divjak den Saal betritt, stehen die Menschen auf und applaudieren frenetisch. Der aus Belgrad stammende Serbe hatte während des Krieges 1992 bis 1995 als General der Bosnischen Armee die Stadt Sarajevo gegen die serbischen Belagerer verteidigt. Seither ist Jovan Divjak ein aktiver Kern der Zivilgesellschaft.

Doch zu allgemeinpolitisch werden soll es nicht. Da schreiten die jungen Frauen ein. „Wir wollen unsere konkreten Forderungen formulieren“, sagt eine der Herrscherinnen über das Mikrofon. Weitere Redner wollen die Abgeordneten des Kantonsparlaments zwingen, auf die Hälfte ihrer Einkünfte zu verzichten. Sie wollen die „illegale Privatisierung des Volkseigentums“ rückgängig machen.

Gehaltsfortzahlung an Politiker gestoppt

Die Forderungen werden gesammelt. Auch über das Internet. Hunderte sind eingegangen. Eine der Organisatorinnen erläutert, wie es weitergehen soll. Die Forderungen sollen abgeglichen und gebündelt werden. Im Internet wird dann das Ergebnis veröffentlicht (plenumsa.com). Das nächste Plenum soll über diesen Katalog entscheiden. Dann soll eine Delegation mit dem Kantonsparlament über die Forderungen verhandeln.

Das Plenum in Tuzla hat immerhin schon zwei Ziele erreicht: Wie in Sarajevo und zwei weiteren Kantonen musste der dortige Kantonspräsident zurücktreten. In Tuzla wurde zudem durchgesetzt, die „weiße Rente“ abzuschaffen, die Weiterzahlung der Gehälter an Politiker nach deren Ausscheiden aus dem Parlament und den Ämtern.

Den Demonstranten ist bewusst, dass der Druck der Straße aufrechterhalten werden muss. Die täglichen Demonstrationen bröckeln aber langsam ab. Nichts Genaues ist geplant. „Wir erproben erst die Basisdemokratie,“ sagt Emin aus Tuzla, „die Leute müssen erst einmal herausschreien, was sie bewegt. Sie erleben in dem Plenum zum ersten Mal das Gefühl, frei zu sein, ohne Angst zu sprechen. Das allein ist alles wert.“ Doch auch er hofft, dass es bald zu einer Delegiertenkonferenz der Plenen kommt, die dann weitere Aktionen in ganz Bosnien beschließen soll.

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