Proteste in Bangladesch: Kinder machen Dhakas Straßen sicher
Seit dem Verkehrstod zweier SchülerInnen protestieren tausende Kinder in Bangladesch für mehr Sicherheit – und kontrollieren sogar Minister.
Die Straßen in Bangladesch sind berüchtigt unsicher, jährlich sterben mehrere Tausend Menschen bei Zusammenstößen. Vergangene Woche starben zwei SchülerInnen, die nun zum Auslöser des aktuellen Protestes wurden. Die zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, hatten am Straßenrand auf ihren Bus gewartet, als sie von zwei um die Wette fahrende Bussen erfasst und getötet wurden. Seitdem sind tausende Kinder, die meisten zwischen 13 und 15 Jahren auf der Straße. Die Familien der Getöteten sollen vom Busunternehmen jeweils 5.000 Euro Entschädigung erhalten, der Firmenbesitzer wurde festgenommen.
Die Wut der Kinder sorgt für ungewohnte Szenen: Wo früher Fahrradrickschas wuselten und oft auch die Gegenfahrbahn nutzten, stehen jetzt geordnete Reihen, Autos und Busse werden reihenweise kontrolliert. Erst am Mittwoch wurde der Industrieminister Tofail Ahmed in seinem Auto von SchülerInnen umringt und zurückgeschickt, als er versuchte auf der falschen Fahrbahn durchzukommen. Videos im Netz zeigen, wie die SchülerInnen Polizisten zwingen, sich gegenseitig Strafzettel wegen fehlender Fahrerlaubnis auszustellen. Am Donnerstag stoppten die Kinder auch das Auto des Vize-Generalinspekteurs der Polizei, weil er keine Papiere dabei hatte.
Unterdessen streiken die Busunternehmen in Dhaka und werfen den SchülerInnen vor, bis zu 300 Busse demoliert zu haben. In Dhaka sind Busse das einzige Massenstransportmittel, so dass viele Berufstätige nun schon seit Tagen Schwierigkeiten haben, sich durch die Stadt zu bewegen. Als Reaktion auf die Proteste kündigte Transportminister Obaidul Quader nun ein neues Verkehrsgesetz und eine Verkehrssicherheitskampagne an und wandte sich an die Kinder: „Bitte, kehrt in eure Klassenräume zurück“.
Repressionen gegen die Opposition
Die Proteste kommen zu einer Zeit, in der die Regierung Bangladeschs politische Gegner heftig unterdrückt. Am Wochenende fanden in drei Städten Bürgermeisterwahlen statt, bei denen der regierenden Awami Liga Wahlfälschung vorgeworfen wird. So sollen Parteiaktivisten zahlreiche Wahllokale besetzt und die Urnen mit gefälschten Stimmzetteln vollgestopft haben. Eine oppositionelle Kandidatin wurde angegriffen. Vor wenigen Wochen ließ die Regierung Studentenproteste für die Abschaffung von Immatrikulationsquoten von der Polizei niederschlagen und ließ verlautbaren, diese seien von oppositionellen Islamistenparteien angezettelt worden.
Doch bei den SchülerInnen funktionieren die bisherigen Repressionsstrategien nicht. Noch traut sich niemand, den Kindern eine politische Unterwanderung zu unterstellen und auch die Forderung nach mehr Verkehrssicherheit lässt sich nicht als Oppositionsgejammer abstempeln. Auf Polizeigewalt haben die SchülerInnen dagegen mit gängigen Schulfhofbeschimpfungen reagiert: „Wessen Schamhaar ist die Polizei?“ heißt ihr verächtlicher Slogan gegenüber Beamten. Noch scheinen sie nicht bereit, wieder in die Schulen zurückzukehren.
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