Proteste im Iran: Anfechtung der Wahl in 646 Fällen

Die gegen Ahmadinedschad angetretenen Kandidaten haben dem Wächterrat Anfechtungen der Wahl in 646 Fällen vorgetragen. Derweil bezweifelt ein Experte, dass die Wahl entscheidend gefälscht wurde.

Proteste vom Mittwoch in Teheran. Fotos kommen fast nur noch von den Teilnehmern, weil die ausländischen Journalisten im Büro bleiben müssen. Bild: dpa

TEHERAN dpa/afp | Die drei unterlegenen Präsidentschaftskandidaten im Iran haben beim Wächterrat Beschwerde gegen insgesamt 646 Unregelmäßigkeiten bei dem Urnengang eingelegt. Das sagte der Sprecher des Gremiums, Abbas Ali Kadchodai, am Donnerstag im iranischen Fernsehen. Der für die Organisation der Wahl zuständige Wächterrat hatte sich angesichts der Proteste gegen die Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad bereit erklärt, einen Teil der Stimmen neu auszuzählen. Der zweitplatzierte Mir Hossein Mussawi hatte zuvor die Annullierung der Abstimmung beantragt.

Der mächtige iranische Expertenrat äußerte sich bislang nicht zum Ausgang des Urnengangs, sondern begrüßte lediglich die hohe Wahlbeteiligung. In einer Erklärung lobte das Gremium aus 86 Geistlichen die "begeisterte" Teilnahme von 85 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung. Der Expertenrat überwacht unter anderem die Arbeit des geistlichen Oberhaupts Ayatollah Ali Chamenei. An seiner Spitze steht Ex-Präsident Haschemi Rafsandschani. Präsident Ahmadinedschad hatte Rafsandschani vor der Abstimmung vorgeworfen, den Wahlkampf des Herausforderers Mussawi zu unterstützen.

Der Wächterrat lud unterdessen die drei unterlegenen Kandidaten der umstrittenen Präsidentschaftswahl, darunter den Anführer der Protestbewegung Mir Hussein Mussawi für Samstag ein, an einer Prüfung der Wahlergebnisse teilzunehmen.

Der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, Volker Perthes, bezweifelte unterdessen im Interview mit sueddeutsche.de, dass die Wahl im Iran maßgeblich gefälscht worden ist. Das Ergebnis sei weniger das Ergebnis einer Manipulation, als der Politik der vergangenen vier Jahre. Präsident Ahmadinedschad habe sich erfolgreich als "Präsident der kleinen Leute" verkauft. Das Ergebnis decke sich mit Umfragen des US-Forschungsinstitutes Centre for Public Opinion, sagte Perthes. "Es war sicher keine perfekte, aber eine echte Wahl."

Auftritt der Revolutionsführers mit Spannung erwartet

Derweil wird der Auftritt des obersten iranischen Führers Ajatollah Ali Chamenei am Freitag mit großer Spannung erwartet. Chamenei, der den Wächterrat weitgehend kontrolliert, hatte die sorgfältige Prüfung der Wahl angeordnet. Die iranische Protestbewegung trauerte derweil am Donnerstag öffentlich um die Toten der vergangenen Tage – auch um den Druck auf eine wirkliche Wahlprüfung aufrecht zu halten.

Mussawi forderte seinen Anhang auf, die Massenproteste für Neuwahlen sollten so ruhig und unaufgeregt wie möglich fortgesetzt werden und am Donnerstag unter dem Zeichen der Trauer stehen. Die Hauptforderung nach der Annullierung der Wahlen vom vergangenen Freitag sei weithin bekannt und müsse nicht ständig wiederholt werden, erklärte Mussawis Unterstützer-Netzwerk.

Mussawis Anhänger wollen mit dieser Strategie offenbar eine Provokation der Staatsmacht vermeiden. Mussawi selbst wollte bei der Trauerkundgebung zum zweiten Mal nach der Wahl am vergangenen Freitag öffentlich auftreten. Schon am Mittwoch waren wieder mehrere zehntausend Demonstranten teils in grün – der Farbe der Opposition – teils in schwarz gekleidet auf die Straßen Teherans gegangen. Mindestens fünf Menschen sind seit Samstag in der Hauptstadt ums Leben gekommen.

Es wird vermutet, dass es weitere Opfer aufseiten der Demonstranten wie auch bei Sicherheitskräften gegeben hat. Am Dienstag und Mittwoch war es weitgehend ruhiggeblieben.

Recherchen vor Ort immer noch verboten

Verlässliche Angaben sind jedoch wegen des auch am Donnerstag geltenden Berichterstattungsverbotes für ausländische Medien von den Demonstrationen schwierig. Die staatlichen Medien stellten jedoch am Donnerstag erstmals Bilder von den Mussawi-freundlichen Demonstrationen zur Verfügung.

Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei wird wohl am Freitag – dem islamischen Feiertag – die Gebete in Teheran anführen. Es wird vermutet, dass er sich dabei zur Situation nach der Wahl äußern wird. Chamenei hat umfassende Machtbefugnisse und das letzte Wort bei allen politischen Entscheidungen im Gottesstaat Iran.

Für Samstag hat auch eine Gruppe von islamischen Klerikern in Teheran um Erlaubnis für eine Demonstration nachgefragt. Mussawi und der reformorientierte Ex-Präsident Mohammed Chatami hatten angekündigt, an dieser Kundgebung teilnehmen zu wollen. Der iranische Botschafter in Deutschland, Ali Reza Sheikh Attar, legte in einem Interview mit dem Deutschlandradio Kultur Wert auf die Feststellung, alle Demonstrationen bewegten sich – anders als etwa beim Sturz des Schah-Regimes 1979 – innerhalb der Gesetzgebung der Islamischen Republik.

Vermutlich 100 Reformer in Haft

Mussawi hatte am Vortag dazu aufgefordert, die während der Demonstrationen festgenommenen Aktivisten – darunter zahlreiche Journalisten, Anwälte, Studenten und Dissidenten – umgehend freizulassen. Nach Medienberichten sollen rund 100 Menschen wegen der Proteste, die sich auch auf andere Städte neben Teheran ausgebreitet hatten, in Haft sein.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.