Proteste gegen chilenisches Bildungssystem: Polizei auf "Pinguine" gehetzt

Pfannenschlagen ist nur eine Reaktion von Studierenden auf das Demonstrationsverbot in Chile. Der Konflikt eskaliert, hunderte Menschen wurden festgeommen.

Eine demonstrierende Studentin wird in Santiago de Chile festgenommen. Bild: reuters

PORTO ALEGRE taz | Donnerstag ist Demotag - so halten es Chiles SchülerInnen und Studierende schon seit Mitte Juni. Mit vielen LehrerInnen und DozentInnen protestieren sie gegen das unsoziale profitorientierte Bildungssystem, das auf die Pinochet-Diktatur zurückgeht und auch 20 Jahre Mitte-links-Regierung überlebte. Doch vom derzeitigen Präsidenten Sebastián Piñera lässt man sich nicht mehr hinhalten - die Bewegung wird von Woche zu Woche breiter.

Nur noch 26 Prozent der Chilenen stehen einer neuen Umfrage zufolge hinter Piñera - das ist der niedrigste Wert für einen Staatschef seit der Rückkehr zur Demokratie 1990. Und der Milliardär agiert immer autoritärer: Am Mittwoch ließ er sämtliche Demonstrationen verbieten, nachdem Schüler- und Studentensprecher seinen zweiten Reformvorschlag als Kosmetik zurückgewiesen hatten.

Am Donnerstag ging die Polizei dann an der Plaza Italia, dem traditionellen Demotreffpunkt in Santiago, bereits am Vormittag mit Wasserwerfern und Tränengas gegen Tausende "Pinguine" vor, wie die SchülerInnen wegen ihrer Uniformen genannt werden. Den ganzen Tag über hielten die Polizisten die Prachtallee Alameda besetzt und jagten Protestierende. Abends besetzten rund 200 StudentInnen den Fernsehsender Chilevisión. Der frühere Universitätskanal, der von 2005 bis 2010 Piñera gehörte, ist heute Teil des Time-Warner-Imperiums.

Ab neun Uhr abends knüpften die Unzufriedenen in vielen Städten an eine Protestform der Pinochet-Ära an: cacerolazos, das Töpfe- und Pfannenschlagen, das nicht nur auf der Straße, sondern auch aus offenen Fenstern heraus funktioniert. Landesweit seien 874 Demonstranten festgenommen und 90 Polizisten verletzt worden, so die Regierung.

Vom Studium ruiniert

Gestritten wird über Zugang, Qualität und Finanzierung des Bildungswesens. Die Regierung will an der untergeordneten Rolle des Staates festhalten. Es dominieren private Träger, die auch noch staatliche Subventionen einstreichen. Für die Schulbildung ist nicht mehr der Zentralstaat verantwortlich, sondern die chronisch unterfinanzierten Kommunen. 80 Prozent der Studienkosten müssen im Schnitt von den Studierenden selbst finanziert werden, viele starten deshalb mit hohen Schulden ins Berufsleben.

Auch im nördlichen Arica wurde demonstriert. Am Morgen kam es zur kurzzeitigen Besetzung der wegen des Rauswurfs einer Schülerin berühmt-berüchtigten Deutschen Schule (taz vom 29. 7.). Ein Angestellter sprang über den Zaun und attackierte drei Besetzerinnen, der neue Schuldirektor Juan Osorio ließ zwei Mannschaftswagen der Polizei kommen. Nach der Räumung wurden 17 SchülerInnen festgenommen.

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