Proteste gegen Sexualstraftäter: Das Stigma bleibt
Im Ort Insel in Sachsen-Anhalt leben zwei ehemalige Sexualstraftäter. Sie werden von den Anwohnern bekämpft, die eine Bürgerinitiative gründeten.
DRESDEN taz | Eigentlich hatte Sachsen-Anhalts Justizministerin Angela Kolb (SPD) am Montag eine Expertise überbringen wollen, die die Einwohner des Dorfs Insel bei Stendal beruhigen sollte. Von den beiden entlassenen Sexualstraftätern, die hier Wohnsitz und ein ziviles Leben suchen, gehe keine Gefahr mehr aus, befand eine Fallkonferenz. Doch die Ministerin fand keine Ansprechpartner vor – der Ortschaftsrat war kurz zuvor zurückgetreten. Kolb sagte den Termin ab.
Einen Tag später kamen dafür zwei Dutzend Inseler nach Stendal, schrien die Ministerin nieder und beschimpften sie als Lügnerin. Dort trat Kolb bei einer Diskussion zur Resozialisierung von Straftätern auf.
Eine Tierarztfamilie hatte den 54 und 64 Jahre alten Männern im Juli 2011 nach ihrer Entlassung aus der Sicherungsverwahrung in Baden-Württemberg Unterkunft gewährt. Nach Bekanntwerden ihrer Vergangenheit gründete sich unter den rund 450 Einwohnern eine Bürgerinitiative. Obschon sich beide Exstraftäter an alle Auflagen hielten und nicht mehr auffällig wurden, fordern die meisten Bewohner ihren Wegzug.
Die Proteste eskalierten. Die Erstürmung des Wohnhauses wurde allerdings von der Polizei verhindert. Seither sind Demonstrationen in Insel verboten. Mediationsversuche von Landesregierung und Landtagsabgeordneten vor Ort scheiterten.
Nico Stiller, Vorsitzender der Bürgerinitiative, fühlt sich von der Magdeburger Landesregierung dennoch im Stich gelassen. Er sagt, die Inseler hätten keine andere Wahl gehabt als den „Knalleffekt“, den Rücktritt von Ortschaftsrat und Ortsbürgermeister Alexander von Bismarck (CDU).
Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) begrüßte den Rücktritt des Ortschaftsrates. So gebe es eine neue Chance, wieder miteinander ins Gespräch zu kommen. Ähnlich äußerte sich Linken-Fraktionschef Wulf Gallert, kritisierte aber zugleich den Versuch der Ortsvertreter, „den Druck auf den Rechtsstaat zu erhöhen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe