Proteste gegen "Dublin II": "Sie spielen Fußball mit uns"

Aktionstag in Tegel: Gegen Abschiebungen von Asylbewerbern nach der "Dublin-II-Verordnung wird auf dem Flughafen demonstriert.

Abschiebungen nehmen ab, "Überstellungen" zu. Bild: bisgleich/photocase

"Für uns ist das schon eine große Aufgabe, die wir zusätzlich übernommen haben“, sagt Steve Neumann. Er ist Stadtpfarrer von Prenzlau, einem Städtchen in der Uckermark in Brandenburg. Seit zwei Monaten beherbergt seine Gemeinde den Afghanen Naser N. im Kirchenasyl. Freiwillige Helfer müssen den Flüchtling mit Essen versorgen und sich um Dolmetscher kümmern. Der Mitzwanziger aus Afghanistan ist stark körperbehindert, er hat nur ein Bein. Im Kirchenasyl ist er, weil er per Gericht keinen Schutz vor seiner Abschiebung erreichen konnte.

In korrektem Amtsdeutsch würde man im Fall von Naser N. gar nicht von "Abschiebung" sprechen. Der Afghane würde vielmehr „überstellt“ werden, und das nicht nach Afghanistan, sondern nach Italien. Möglich ist das durch die 2003 in Kraft getretene Dublin-II-Verordnung. Jeder Asylsuchende hat demnach nur Anspruch auf ein Asylverfahren in dem EU-Staat, dessen Boden er zuerst betreten hat. Ob das im Falle Naser N. Italien ist oder Griechenland, ist zwischen seinem Anwalt und den Behörden strittig.

Der Unterschied ist wichtig, denn nach Griechenland werden seit mehreren Monaten keine Asylsuchenden mehr überstellt. Dort ist mit der Wirtschaftskrise auch das Asylsystem zusammengebrochen. In Italien gibt es noch Asylverfahren, allerdings werden die Bewerber in der Regel nicht versorgt, sondern sind von Obdachlosigkeit betroffen und aufs Betteln angewiesen. Für den einbeinigen Naser N. sind das Lebensumstände, mit denen er nicht klar käme, sagt sein Berliner Anwalt Christopher Lingau. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in anderen Fällen schon entschieden, Flüchtlinge nicht mehr nach Italien zu überstellen. „Das sehen inzwischen auch einzelne deutsche Gerichte so“, sagt Lingau, „aber bei weitem nicht alle.“

Während die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland seit Jahren rückläufig ist, hat – unbemerkt von der Öffentlichkeit – die Zahl der Überstellungen stark zugenommen. Im vergangenen Jahr stellte die Bundesregierung 9.400 „Überstellungsanträge“, also für fast jeden vierten Asylbewerber. 3.000 Überstellungen wurden tatsächlich durchgeführt. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei hervor. Wie viele aus Berlin kamen, ist nicht erfasst.

„In Berlin betrifft es etwa viele Tschetschenen, die auf dem Landweg nach Polen geschickt werden“, sagt Martina Mauer vom Flüchtlingsrat. In Polen gibt es zwar Asylverfahren, aber nach einem Jahr werden die Flüchtlinge aus den Wohnheimen gewiesen und nicht mehr versorgt. Auch an medizinischer Versorgung für die oft traumatisierten Bürgerkriegsflüchtlinge mangelt es nach Erfahrungen Berliner Flüchtlingshelfer, so dass viele dann doch in Berlin stranden. Zudem haben viele Tschetschenen in Berlin familiäre Bindungen.

Wie Frachtgut

Bundesweit finden die meisten „Dublin-II-Überstellungen“ nach Italien, Schweden und Polen statt. Neben Italien gelten auch Ungarn und Malta als Staaten, in denen Asylsuchende keinen Schutz erwarten können. Um auf die Dublin-II-Überstellungen aufmerksam zu machen, protestiert das bundesweite Netzwerk „Welcome 2 Europe“ am Freitag (30. März) um 17 Uhr auf dem Flughafen Tegel. Geplant sind ein szenisches Spiel sowie Wortbeiträge von Betroffenen, die von ihrem Schicksal berichten. Parallel finden die Proteste auf anderen deutschen Flughäfen statt. „Auf Grund dieser Verordnung werden Leute innerhalb europäischer Länder wie Frachtgut hin und her geschoben. Dublin II bedeutet, sie spielen Fußball mit uns, schießen uns von einem Land ins nächste“, sagt ein Betroffener von „Welcome 2 Europe“.

Unterstützt werden die Protestler von der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Linke). "Es ist unerträglich, dass in Europa massenhaft Menschen eingesperrt und hin- und hergeschoben werden, um die starren Regelungen des Dublin-Regimes zu vollziehen“, erklärt sie. „Mit einem Lastenausgleich würden die EU-Staaten ihrer gemeinsamen Verantwortung für schutzbedürftige Flüchtlinge weit mehr gerecht werden."

Naser N. aus Prenzlau kann am Freitag nicht nach Tegel kommen. Das Verlassen des Kirchenasyls wäre für ihn zu gefährlich.

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