Protestbewegung in Iran: „Sie wollten die Familie brechen“
In Iran wurde vor einem Jahr der 30-jährige Majid Kazemi hingerichtet. Sein Cousin in Deutschland erzählt, was danach passierte.
In Iran sind mindestens neun Personen im Zusammenhang mit der Protestbewegung hingerichtet worden, die 2022 ihren Anfang nahm. Einer war der 30-jährige Majid Kazemi, der im Mai vor einem Jahr erhängt wurde. Sein Cousin Amir Kazemi hatte sich damals von Deutschland aus für seine Freilassung eingesetzt.
taz: Herr Kazemi, Ihr Cousin wurde vor einem Jahr im Zuge der sogenannten „Frau, Leben Freiheit“-Bewegung hingerichtet. Wie ist es Ihnen seither ergangen?
Amir Kazemi: Am Anfang war ich sehr depressiv, konnte nicht mehr am Leben teilhaben, nicht mal mehr rausgehen. Ich hatte meinen Cousin verloren, für den ich so sehr gekämpft hatte. Aber dann habe ich mir Stück für Stück eine gewissen Lebensroutine zurückerobert.
Wie haben Sie damals von der Hinrichtung erfahren?
Es war frühmorgens um sieben, als mein anderer Cousin mich weinend anrief und sagte: „Es ist geschehen, was nicht geschehen sollte.“ Ich war schockiert, wir konnten es nicht glauben. Wir hatten doch so gekämpft, so viele Menschen hatten sich eingesetzt. Ich bin immer noch so voller Wut, dass ich auch jetzt noch weiterkämpfe.
Wie ging es danach für Ihre Familie in Iran weiter?
Amir Kazemi (31) lebt seit 2018 in Deutschland. Nach Ausbruch der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung in Iran 2022 setzte er sich medial für seinen Cousin Majid Kazemi sein, der im September 2022 verhaftet, gefoltert und im Mai 2023 wegen „Krieg gegen Gott“ hingerichtet wurde.
Majids Familie stand fürchterlich unter Druck. Die Islamische Republik hatte ihr Kind ermordet. Majids Bruder bekam dann einen Anruf, er solle die Leiche abholen kommen. Während der Beerdigung kamen Basidschis (Miliz der Revolutionsgarden im Inland; Anm. d. Red.). Sie lachten die Familie aus, zertraten sogar die Blumen. Was sind das für Menschen? Sie töten unseren Angehörigen und selbst dann kennen sie keine Gnade. Auch Majids Brüder, Hossein und Mehdi, wurden zwischenzeitlich verhaftet. Beide kamen später auf Kaution frei, aber das Regime drohte, sie wieder zu verhaften. Sie wollten die Familie brechen. Meinem Vater haben sie gesagt: „Denk nicht, dass wir nicht an deinen Sohn kommen, nur weil er im Ausland ist.“ Es gibt immer noch viel Druck auf die Familie, aber ich habe in Deutschland weitergemacht, war im Bundestag, auf Demos.
Was motiviert Sie?
Ich denke immer nur: Wenn ich schweige, wenn alle schweigen, wann wird Iran dann frei werden? Ich bin im Ausland, aber meine Freunde und Familie sind in Iran. Ich kann doch nicht nicht für sie kämpfen! Freiheit ist das Grundrecht eines jeden Menschen.
In sozialen Netzwerken berichteten Sie von Schwierigkeiten, einen Grabstein für Ihren Cousin aufzustellen.
Darum kämpfen wir seit einem Jahr. Sie erlauben nicht, dass wir den Grabstein als ein Andenken an Majid gestalten. Sie sagen, das Grab muss komplett schlicht sein. Es darf weder ein Foto von Majid drauf sein, noch sein genaues Geburts- und Todesdatum, nur Monat und Jahr. Wir dürfen nicht einmal einen Vers oder eine Sure darauf schreiben. Doch diese Bedingungen akzeptieren wir nicht. Ihr habt unser Kind getötet, dann lasst uns doch wenigstens den Grabstein frei gestalten!
Was bezwecken die Behörden mit diesen Auflagen?
Sie wollen nicht, dass es eine Gedenkstätte gibt. Majid ist als Widerstandskämpfer getötet worden. Die Islamische Republik möchte nicht, dass ihrer gedacht wird. Ich bekomme immer noch Nachrichten von Menschen, die das Grab besucht haben und berichten, dass noch immer Sicherheitskräfte dort sind, der Friedhof jetzt per Kamera überwacht wird. Im ersten Monat waren dort sogar täglich Sicherheitskräfte stationiert, die jedes Auto anhielten und Personalien notierten. Majid ist eine Berühmtheit geworden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Türkei und Israel nach Assad-Sturz
Begehrlichkeiten von Norden und Süden
Katja Wolf über die Brombeer-Koalition
„Ich musste mich nicht gegen Sahra Wagenknecht durchsetzen“