Protest: Hungerstreik in Horst
Ein Afghane verweigert seit sechs Tagen im Flüchtlingsheim Nostorf das Essen. Am Freitag solidarisierten sich weitere Heimbewohner. Auch Flüchtlingsräte üben Kritik.
Vor sechs Tagen ist ein afghanischer Flüchtling in der Landesgemeinschaftsunterkunft (LGU) für Flüchtlinge in Nostorf/Horst, in den Hungerstreik getreten. Er begründete seinen Entschluss gegenüber dem Flüchtlingsrat Hamburg damit, dass er länger als drei Monate in der Erstaufnahmeeinrichtung für Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg wird bleiben müssen. Am Freitagmorgen hat er seinen Protest gemeinsam mit weiteren Asylsuchenden aus der LGU und Vertretern des Flüchtlingsrats Hamburg öffentlich gemacht.
Um sieben Uhr morgens versammelten sich laut Dorothea Zirkel vom Flüchtlingsrat Hamburg etwa 15 bis 30 Flüchtlinge mit zugeklebten Mündern und Plakaten vor der Kantine der Unterkunft. Sie protestierten gegen die zu lange Unterbringung in der Erstaufnahmeeinrichtung, gegen unzureichende rechtliche und medizinische Beratung und gegen die soziale Isolation.
"Solche Dschungelheime fernab von einer Stadt oder einem Dorf gehören abgeschafft", sagt Doreen Klamann-Senz vom Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern, die die länger als drei Monate dauernde Unterbringung von Flüchtlingen in der LGU seit ihrer Einrichtung 2005 kritisiert. "Das führt zu Problemen bei der Erreichbarkeit von Rechtsanwälten und Ärzten. Zusätzlich können die dort lebenden Flüchtlinge, anders als sonst, nur in einer Kantine essen und sich nicht selbst versorgen." Für die ersten drei Monate sei das hinnehmbar, aber auf keinen Fall für zwölf Monate und länger. Derzeit beträgt die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in der LGU laut Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern 117 Tage.
Die Vorwürfe des Flüchtlingsrates weist das Innenministerium zurück. "Wir haben in Mecklenburg-Vorpommern hohe Standards für die Unterbringung in Heimen und auch die Erstaufnahmeeinrichtung in Nostorf/Horst entspricht voll den Anforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung von Asylbewerbern", sagt Ministeriumssprecher Falk Jonischkies. "Auch ist die medizinische Versorgung der Asylbewerber jederzeit gesichert. Wenn es berechtigte Kritik von Heimbewohnern gibt, wird dieser nachgegangen."
Am frühen Nachmittag setzten sich drei von den Demonstranten ausgewählte Flüchtlinge mit dem Leiter des Landesamts für Migration und Flüchtlingsangelegenheiten, Wolf-Christoph Trzeba, zu einem Gespräch zusammen. "Wir wollten auch einen Vertreter und einen eigenen Dolmetscher mitschicken", sagt Zirkel, die die sofortige Schließung der Unterkunft in Nostorf fordert. "Aber das wurde uns verwehrt." Laut Innenministerium wurde vereinbart, in der kommenden Woche ein weiteres Gespräch mit der Delegation zu führen, um über einzelne Probleme intensiver zu beraten. Zirkel sagte außerdem, dass die Demonstranten ihre Forderungen bis Montag schriftlich vorlegen sollen. Trzeba war am Freitagnachmittag nicht für eine Stellungsnahme zu erreichen.
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