Protest gegen die Sparbeschlüsse: Die Straße ist frei
Nach den Sparbeschlüssen der schwarz-gelben Bundesregierung regt sich Widerstand. Doch ob die Aufrufe auch gehört werden, ist noch offen.
BERLIN taz | Während es in der schwarz-gelben Koalition wegen der angekündigten Sparbeschlüsse der Bundesregierung mächtig kracht, rufen für das Wochenende rund 100 Organisationen und Gruppen aus ganz Deutschland zu Sozialprotesten gegen die Kürzungspläne der Bundesregierung auf. In Berlin und Stuttgart sollen am Samstag zehntausende Menschen unter dem Motto "Wir zahlen nicht für eure Krise" auf die Straße gehen, um gegen die ungerechten Sozialkürzungen zu demonstrieren.
"Es kommt jetzt darauf an, soziale Proteste und zivilen Ungehorsam zu organisieren", sagte Edgar Schu vom Aktionsbündnis Sozialproteste der taz. Nach den Regierungsbeschlüssen der letzten Tage habe es einen enormen Mobilisierungsschub gegeben.
Auch die Präsidentschaftskandidatin der Linkspartei, Luc Jochimsen, ruft zu sozialen Protesten auf: "Die Schwachen dieser Gesellschaft müssen jetzt unterstützt und geschützt werden, sie brauchen Hilfe - und zwar mehr als je zuvor! Ich rufe deshalb dazu auf, dass die Gewerkschaften gemeinsam mit den außerparlamentarischen Gruppierungen und der Linken im Bundestag ein breites Protestbündnis formieren", sagte sie der taz.
Was und wann? Am Samstag rufen rund 100 Gruppen und Organisationen in Berlin und Stuttgart zu Protesten auf - von gewerkschaftlichen Landesverbänden bis zu friedenspolitischen Gruppen, ihr gemeinsames Motto "Wir zahlen nicht für eure Krise!"
In Berlin: In Berlin beginnt der Protest am Samstag um 12 Uhr am Roten Rathaus, um 13 Uhr beginnt dort die Demonstration.
In Stuttgart: Am Stuttgarter Hauptbahnhof beginnt die Kundgebung am Samstag um 10 Uhr. Dort redet unter anderem Ver.di-Chef Frank Bsirske. Demostart ist um 11 Uhr.
Mehr Infos unter: www.kapitalismuskrise.org.
Der frühere SPD-Sozialpolitiker Rudolf Dreßler forderte die Sozialverbände, die Kirchen und die Gewerkschaften dazu auf, "deutlichen und wahrnehmbaren Widerstand zu formieren. Wenn diese Institutionen es jetzt nicht schaffen, den institutionellen Schulterschluss zu organisieren und ihre Mitglieder auch auf die Straße zu bringen, dann werden sie sich noch wundern."
Im Laufe der Woche hatte bereits die frühere Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche, Margot Käßmann, gesellschaftlichen Widerstand auch aus Reihen der Kirchen gefordert. DGB-Chef Michael Sommer sagte der taz, der Deutsche Gewerkschaftsbund werde nun ausgehend von Diskussionen in Betrieben und Verwaltungen politischen Druck aufbauen.
Der Ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske sagte der taz, die Gewerkschaft werde den "Widerstand gegen die unsoziale und konjunkturschädliche Rotstiftpolitik, gegen die Entsolidarisierung der Sozialsysteme und gegen die einseitige Lobbypolitik in die Fläche, in Betriebe und Verwaltungen tragen".
Ob auf die Sparmaßnahmen der Bundesregierung allerdings tatsächlich nachhaltige Proteste folgen, ist völlig offen. Bereits im letzten Jahr war spekuliert worden, dass die weltweite Finanzkrise zu sozialen Unruhen in der Gesellschaft führen könnte. Nach einer bundesweiten Demonstration, die ebenfalls unter dem Motto "Wir zahlen nicht für eure Krise" stand und vom weitgehend gleichen Trägerkreis organisiert war, war der Protest auf der Straße nahezu verstummt.
Hartz-IV-Bezieher zahlen
Grund könnte auch jetzt sein, dass die angekündigten Sparmaßnahmen der Bundesregierung weniger die ArbeitnehmerInnen als vielmehr die Erwerbslosen betreffen. Während für Hartz-IV-BezieherInnen das Elterngeld, die Rentenanwartschaften und einige Pflichtleistungen gestrichen werden sollen, bleiben typische Arbeitnehmerbegünstigungen wie die Pendlerpauschale, Nachtzuschläge und das seit Jahren immer wieder diskutierte Ehegattensplitting unangetastet.
"Die Menschen im Normalarbeitsverhältnis, die zur Hauptklientel der Gewerkschaften gehören, sind durch das Sparpaket der Koalition praktisch nicht belastet worden", sagte der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel der taz.
"Das war von der Bundesregierung taktisch klug. Ich bin daher pessimistisch, was die Mobilisierung betrifft." Gerade aber weil Arbeitslose oft vereinzelt seien, "müssen die Gewerkschaften und Oppositionsparteien diesen Protest jetzt organisieren", fordert der Bremer Wirtschaftswissenschaftler.
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