Protest gegen deutsche Urananlage Gronau: "Wir erhöhen hier den Druck"
Atomgegner und und Friedensaktivisten protestieren gegen die einzige deutsche Anlage zur Urananreicherung in Gronau. Sie sichert Deutschland den Zugang zu Kernwaffen.
Niemals zuvor war der Protest gegen Deutschlands einzige Urananreicherungsanlage größer: Mehr als 10.000 Menschen gingen am Ostermontag in Gronau im Münsterland gegen die zivile und militärische Nutzung der Atomenergie auf die Straße. Das nicht einmal 50.000 Einwohner zählende Städtchen an der Grenze zu den Niederlanden war übervoll mit Friedensbewegten und Atomkraftgegnern, darunter sehr viele junge Leute, die die Atomkatastrophe von Tschernobyl vor 25 Jahren nicht selbst erlebt haben.
Ziel des Protests war Deutschlands einzige Urananreicherungsanlage (UAA). "Die Uranfabrik steht am Anfang der weltweiten Atommüllspirale", hatte der atompolitische Sprecher des Bundesverbands Bürgerinitiativen Umweltschutz, Udo Buchholz, schon seit Jahren gemahnt: "Hier wird das Uran für den Einsatz in den Atomkraftwerken vorbereitet." Der im Widerstand ergraute Buchholz stammt aus Gronau und wohnt nur wenige hundert Meter von der Anlage entfernt. Seine Forderung: "Wer den Atomausstieg will, muss auch die UAA dichtmachen."
Doch die Anlage wird seit Jahren ausgebaut. Derzeit versorgt die Gronauer UAA allein mehr als 7 Prozent des Weltmarkts für angereichertes Uran, das im wenige Kilometer entfernten Lingen zu Brennstäben für Atomkraftwerke weiterverarbeitet wird. Ende 2011 soll die Uranfabrik bis zu 35 große Meiler mit atomarem Brennstoff beliefern können.
Lieferadresse war auch das AKW Fukushima
Betrieben werden die Gronauer Zentrifugen von dem Joint Venture Urenco, an dem der britische und der niederländische Staat ebenso beteiligt sind wie die deutschen Atomstromkonzerne RWE und Eon. Mit ihren Urananreicherungsanlagen im wenige Kilometer entfernten niederländischen Almelo, im britischen Capenhurst und in den USA bedient Urenco 25 Prozent des Weltmarkts - beliefert wurden auch die AKWs im japanischen Fukushima.
Außerdem sichert die Anlage zumindest theoretisch Deutschlands Zugang zur Atombombe: Technisch wäre auch die Produktion von waffenfähigem Material möglich. "In Gronau behält sich Deutschland die technische Möglichkeit der Atomwaffenproduktion vor", sagt Joachim Schramm von der Deutschen Friedensgesellschaft. "Die Anlage symbolisiert wie keine andere die Verbindung zwischen Anti-Atom- und Friedensbewegung", sagt auch die einstige grüne Bundestagsabgeordnete Marita Wagner, die mittlerweile für die Linken im Gronauer Stadtrat sitzt. Denn seit die ehemalige rot-grüne Landesregierung des Sozialdemokraten Peer Steinbrück 2005 den Ausbau der UAA genehmigte, spielen die Grünen in Gronau keine Rolle mehr. Nicht einmal einen Ortsverband gibt es noch.
Dabei hat die Urenco ihr Know-how für den Bau von Atombomben längst exportiert. Anfang der siebziger Jahre heuerte der aus Pakistan stammende Abdul Khadir Khan bei einem niederländischen Zulieferer der Urenco an. Dort konnte der Wissenschaftler, der an der Technischen Universität Delft Metallurgie studiert hat, Blaupausen mit nach Hause nehmen und in aller Ruhe kopieren. Khan hatte damit die Anleitung zum Atombombenbau in Händen.
Deutsche Technik hilft dem Iran
Heute gilt er als größter Atomschmuggler aller Zeiten: 2004 räumte Khan, der von 1976 bis 2001 das pakistanische Atomprogramm leitete, öffentlich ein, atomtechnologisches Know-how an den Iran, an Libyen und Nordkorea weitergegeben zu haben. Die vom Westen beklagte atomare Aufrüstung Irans basiert damit auf der auch von deutschen Ingenieuren entwickelten Urenco-Technik.
"Ein Sicherheitsrisiko" sei die Urananreicherung auch in Deutschland, warnt der Atomkraftgegner Buchholz. Jährlich rollen tausende Tonnen radioaktives Uranhexafluorid ins Münsterland - trotz der Gefahr, dass das Material mit Luftfeuchtigkeit in Kontakt gerät und zu hochgiftiger, ätzender Flusssäure reagiert. Die Transportzüge fahren durch die Bahnhöfe Kölns, des Ruhrgebiets und durch Münster. Und der Gronauer Urenco-Geschäftsführer Joachim Ohnemus musste bereits einräumen, dass seine Anlage wie selbstverständlich nicht gegen Flugzeugabstürze gesichert ist, obwohl der Bombenabwurfplatz Nordhorn-Range der Luftwaffe gerade mal 20 Kilometer entfernt ist.
Trotzdem blieb in Gronau der Widerstand gegen die UAA über Jahre gering. Oft protestierten nur wenige gegen die Anlage, die sich in einem Industriegebiet unscheinbar zwischen dem Lebensmittelzentrallager der regionalen "K&K"-Märkte der Einzelhändler Klaas & Kock und dem TÜV versteckt.
"Die Anti-Atom-Bewegung hat die Bedeutung der Urananreicherung unterschätzt", sagt etwa Willi Heesters von der Landeskonferenz gegen Atomanlagen. Außerdem ist die Urenco im strukturschwachen, vom plötzlichen Zusammenbruch der Textilindustrie gebeutelten Gronau einer der größten Gewerbesteuerzahler.
Vor Ort sponsert die Firma alles und jeden: "Ob Schulen, Vereine oder die Stadtbücherei - es gibt kaum jemanden, der noch kein Geld von der Urenco bekommen hat", klagen Atomkraftgegner.
Urantransport nach Russland gestoppt
Trotzdem konnte die Anti-Atom-Bewegung 2009 einen großen Erfolg feiern: Als die Proteste deutscher und russischer Umweltschützer zunahmen, musste der Export von abgereichertem Uran nach Russland gestoppt werden. Dort rosten die Fässer mit Atommüll noch immer unter freiem Himmel vor sich hin, sie sind sogar über Google Earth sichtbar. "Die Atomindustrie hat aus Tschernobyl nichts gelernt", klagte deshalb Rashid Alimov von der russischen Umweltschutzorganisation Ecoperestroika bei der Auftaktkundgebung.
Die Gronauer aber wurden mit dem Stopp der Exporte zum ersten Mal mit dem dauerhaften Problem ihrer Urananreicherungsanlage konfrontiert: Ende 2011 soll der Bau eines 65.000 Tonnen fassenden Zwischenlagers beginnen - der Atommüll bleibt dem Städtchen damit über Jahrzehnte erhalten.
Unterstützt von der Friedensbewegung, wächst seitdem der Widerstand. "Richtige Aufbruchsstimmung" habe schon bei den Vorbereitungstreffen zum Ostermarsch geherrscht, berichtet Atomkraftgegner Heesters. Unterstützt werden die Atomkraftgegner von Landwirten, die mit mehr als 50 Traktoren auffuhren, und Gronauer Ärzten, die in den lokalen Westfälischen Nachrichten eine Anzeige gegen die Nutzung der Atomkraft schalteten. "Wir erhöhen hier den Druck auf die rot-grüne Landesregierung Nordrhein-Westfalens", sagt deshalb der Sprecher der Umweltschutzorganisation BUND. "Deren Lippenbekenntnisse reichen uns nicht: Die Anlage muss nicht überprüft, sondern dichtgemacht werden."
Aktivisten wie der Atomkraftgegner Stefan Dehn, der sich seit Tschernobyl in Gronau engagiert, reagieren emotionaler: "Ich bin gerührt", sagt er einfach nur. "Seit Jahren laufen wir uns hier ohne große Reaktionen die Hacken ab - und dann so ein Erfolg."
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