Protest gegen Truppenübungsplatz: Augustdörfer gegen Kampfdörfer
Auf einem Truppenübungsplatz bei Bielefeld will die britische Rheinarmee Übungsdörfer errichten. Eine Bürgerinitiative will das verhindern - auch aus politischen Gründen.
Baumaßnahmen von Nato-Partnern wie Großbritannien auf deutschem Boden werden im Nato-Truppenstatut geregelt. Zuständig für die Pläne der britischen Rheinarmee ist das Bundesministerium für Verteidigung. Das Ministerium bedient sich zur Prüfung der Vorhaben Landesbehörden.
Diese wiederum geben den Fall an lokale Behörden weiter, die prüfen, ob die Kampfdörfer nach deutschem Recht errichtet werden dürfen.
Somit prüfen lokale Behörden die Baupläne, haben aber keine Entscheidungsmacht, weil Deutschland in einer Bündnisverpflichtung mit den Nato-Partnern steht und Übungsdörfer der Landesverteidigung dienen. Diese Begründung müsste im Zweifelsfall vor Gericht entschieden werden. BOE
Die Wut ist Gerald Freitag und Reinhard Balke noch beim Nachmittagstee anzumerken: "Es ist schiere Provokation, dass die Briten auf dem Gelände Augusta ein Kampfdorf bauen wollen", sagt Freitag. Und der Apotheker Balke ergänzt: "Dieses Kampfdorf wird nicht kommen, da steht ganz Augustdorf auf, wenn sie das zulassen."
In Augustdorf in Ostwestfalen widersetzt sich eine Bürgerinitiative den Plänen der nebenan stationierten britischen Rheinarmee, bis zum Jahr 2012 sieben Übungsdörfer zu bauen. Anwohner fürchten den Lärm von militärischen Übungen, und Umweltschützer sehen in den Plänen eine Gefahr für die Naturlandschaft Senne, die als "Flora-und-Fauna-Habitat", also als europäisches Naturschutzgebiet ausgewiesen ist. Die Übungsdörfer sollen ähnlich wie auf dem bayerischen Truppenübungsplatz Hohenfels aus jeweils drei gemauerten zweigeschossigen Häusern und zwanzig Stahlcontainern bestehen. Eine vierzig Kilometer lange neue Panzerstraße soll das Gebiet erschließen. Außerdem sind künstliche Höhlen aus Betonröhren geplant. In Hohenfels gibt es sogar eine Polizeistation, einen Friedhof und eine Moschee. In den Dörfern will die britische Armee ihre Soldaten auf Einsätze im Irak und in Afghanistan vorbereiten und Geiselbefreiungen und Hausdurchsuchungen üben.
Am heftigsten entzündet sich die Wut über die Absicht, eines der Übungsdörfer auf dem Gelände "Augusta" zu bauen. "Augusta" liegt direkt an der Ortsgrenze zu Augustdorf, und viele der direkten Anwohner könnten zu Übungszeiten die Ruhe in ihren Gärten wohl nicht mehr genießen - Vorgärten und "Augusta" trennen nur etwa 1.500 Meter.
Mit einem Kampfdorf würde vermutlich auch der Rundweg um Augustdorf durchschnitten. Der Weg führt durch Militärgebiet, große Schilder warnen davor weiterzugehen, aber bisher herrschte die stillschweigende Übereinkunft, dass die Dorfbewohner dort spazieren gehen können.
Augustdorf ist umzingelt von Militär. Südlich des Dorfes liegt der 116 Quadratkilometer große Truppenübungsplatz Senne, der seit 1945 unter britischer Hoheit steht und wo 4.000 Soldaten der Rheinarmee stationiert sind. Am nordöstlichen Rand von Augustdorf liegt eine nach dem Wehrmachtsgeneral Erwin Rommel benannte Kaserne der Bundeswehr, die den Truppenübungsplatz Senne gelegentlich ebenfalls nutzt.
Vor gut zwanzig Jahren wollte die Rheinarmee schon einmal ein Übungsdorf in der Senne errichten. Damals taten sich wütende Anwohner in der Bürgerinitiative "Kein Kampfdorf" zusammen und vereitelten mit Protesten und einer Klage vor dem Verwaltungsgericht Münster die Pläne der Briten.
Freitag und Balke, die damals schon dabei waren, haben die Bürgerinitiative wiederbelebt. Ende der Achtzigerjahre ging es der britischen Armee darum, auf "Augusta" ihre Soldaten für Einsätze in Nordirland auszubilden. "Damit, dass sie das jetzt wieder versuchen, reißen sie alte Wunden auf", sagt der Realschullehrer Freitag.
Damals war der Aktionismus der Bürgerinitiative und die Beteiligung in der Dorfbevölkerung größer als heute. Kinder der Aktivisten malten Transparente und protestierten mit großen orangefarbenen Aufklebern, auf denen "Kein Kampfdorf" stand, auf ihren Pullis an der Seite ihrer Eltern. Die Kinder sind längst weggezogen, von den Eltern sind auch nicht mehr alle da. "Die Jungen im Dorf sind leider nicht so aktiv, wie wir damals", sagt Balke. Aber er hofft, dass sich das ändert, sobald es konkret wird.
Politische Unterstützung bekommt die Initiative kaum. Die CDU-Mehrheit im Rat der Gemeinde Augustdorf hat sich in einer Resolution zwar gegen das Kampfdorf ausgesprochen, unterstützt aber auch das Anliegen der Armee: "Wir sind der Meinung, dass Soldaten, die in Krisengebiete geschickt werden sollen, gut ausgebildet werden müssen", sagt Bürgermeister Andreas Wulf von der CDU. Er lobt die Kooperationsbereitschaft der Briten und betont, dass die Gemeinde frühzeitig über die Pläne informiert worden sei. "Wir haben den Briten nahegelegt, die Übungsdörfer im Inneren des Truppenübungsplatzes zu bauen und nicht an unserer Ortsgrenze", sagt Wulf.
Das können die Aktivisten der Bürgerinitiative nicht verstehen: "Wieso bietet der Rat der britischen Armee auch noch an, Dörfer weiter hinten zu bauen? Man muss die Pläne ganz verhindern, wenn man die Senne schützen will. So kann man nicht verhandeln", empört sich Balke.
Der Rat der Gemeinde Schlangen, die südöstlich an den Truppenübungsplatz grenzt, sprach sich in einer Resolution generell gegen die Errichtung "neuer Übungseinrichtungen sowie einer weiteren Flächenversiegelung für die Anlage neuer Wegetrassen" aus, nicht nur auf "Augusta".
Das fordern auch Umweltschützer vom "Förderverein Nationalpark Senne", der zusammen mit dem Naturschutzbund vor dem Europäischen Gerichtshof klagen will, sollten die Briten an ihren Bauplänen festhalten. "Die Senne ist Flora-und-Fauna-Habitat und EU-Vogelschutzgebiet. Nach EU-Richtlinien dürfen sich solche Gebiete keiner Verschlechterung ausgesetzt sehen. Und ich sehe nicht, wie das möglich sein soll, wenn dort gebaut wird und Wege befestigt werden", sagt Ute Röder, die Vorsitzende des Fördervereins. Fünftausend Tier- und Pflanzenarten gebe es in der Senne, 1.000 davon stünden auf der roten Liste.
Die Rheinarmee will sich zu den Befürchtungen der Anwohner und Umweltschützer nicht äußern: "Solange die angeforderten Gutachten zur Umweltbelastung und Lärmbelästigung nicht vorliegen, sagen wir dazu nichts", sagt Ian Grant, Verbindungsoffizier und lokaler Sprecher der Rheinarmee. Weiteren Fragen weicht er aus. "Es gibt noch keine konkreten Pläne, nur Wünsche und Ideen", meint er nur.
Die Bundesregierung hat an den Plänen der Briten nichts zu beanstanden: Lärmbelästigung sei nicht zu erwarten, und Übungen mit scharfer Munition seien nicht geplant, ließ sie Ende vorigen Jahres auf eine kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Ute Koczy wissen.
Koczy überzeugt das nicht: "Auch das Üben mit Lichtpistolen und Seifenmunition ist laut genug, da braucht man sich nichts vormachen." Vor allem aber dienten die Kampfdörfer nicht der Landesverteidigung. "Und wir sind gegen eine indirekte Unterstützung für Auslandseinsätze", sagt Koczy.
Auch die Mitglieder der Bürgerinitiative bezweifeln die offiziellen Beteuerungen, wollen aber nicht zu sehr provozieren. Es gehe ihnen nicht darum, die Anwesenheit der britischen Armee generell in Frage zu stellen: "Mit dem Status quo können wir gut leben und uns ist auch klar, dass die Soldaten für ihre Einsätze gut ausgebildet werden müssen. Aber diese Pläne gehen zu weit", meint Freitag.
Mancher findet das zu wenig. Klaus Mai, der in den Achtzigerjahren in der Bürgerinitiative dabei war, gehen deren heutige Forderungen nicht weit genug: "Das Argument für die Anwesenheit des Militärs hier ist immer die Wirtschaftskraft, die sie in die Region bringen. Aber es ist gar nicht erwiesen, dass diese so hoch ist. Da rechnet keiner nach", sagt der pensionierte Hauptschulrektor und Biologe, der direkt neben dem Gelände "Augusta" lebt und in seinem Garten bisweilen Besuch von Damwild bekommt. Das Argument, das Militär schütze die Natur der Senne, mit dem sich auch der Förderverein bisher zufrieden gab, lässt der 69-Jährige nur bedingt gelten: "Wenn die Senne ein Nationalpark wäre, müsste eine Parkverwaltung eben dafür sorgen, dass das Gebiet geschützt ist und den Zugang limitieren", fordert er.
Das Genehmigungsverfahren für die Baupläne ist kompliziert. Die Öffentlichkeit darf nicht teilnehmen, weil das Vorhaben der Landesverteidigung dient, sagt zumindest die Bundesregierung. Derzeit untersuchen Gutachter die potenzielle Umweltbelastung und Lärmbelästigung durch die Übungsdörfer, und die anliegenden Gemeinden werden Mitte Februar in Anhörungen über die Ergebnisse der Gutachter unterrichtet, haben aber letztlich selbst keinen Einfluss auf den Entscheidungsprozess. Sie können den Bauplänen zwar widersprechen, aber kein Veto einlegen. Die Augustdorfer jedenfalls vertrauen weniger auf die Behörden denn auf Proteste und öffentlichen Druck.
Der Unmut wird steigen in den Vorgärten und Einfamilienhäusern Augustdorfs, sollte die britische Armee nicht von ihren Plänen abweichen. Gerald Freitag und Reinhard Balke ist anzumerken, dass sie eine Konfrontation mit den Briten nicht scheuen und sich insgeheim vielleicht sogar auf die Demonstrationen am Truppenübungsplatz freuen. "Wir müssen siegen, das nutzt nichts", sagte Reinhard Balke.Und dann wird auch wieder Klaus Mai dabei sein. So wie früher.
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