Protest gegen Rodung für Kalkwerk: Jeden Tag könnte geräumt werden
In Wuppertal halten Aktivist*innen Bäume besetzt, die für die klimaschädliche Kalkbranche fallen sollen. Der Nabu hingegen hat „keine Bedenken“.
Bedroht wird das Waldstück von den Kalkwerken Oetelshofen der Familie Iseke: Die betreibt im Wuppertaler Stadtteil Vohwinkel einen bis zu 180 Meter tiefen Steinbruch, in dem Millionen Tonnen Abraum anfallen. Verkippt werden soll der im Osterholz – und dafür sollen Tausende Bäume weichen. „Es macht mich krank, dass hier trotz Klimakatastrophe fünf Hektar gesunder Mischwald zerstört werden sollen, nur um Lehm und Sand abzuladen“, sagt Schlüter. „Der Steinbruch ist Heimatzerstörung, entzieht der Natur das Grundwasser“, findet auch Hans-Martin Bröcker, dessen Familie seit mehr als 500 Jahren in Vohwinkel lebt.
Die Bezirksregierung Düsseldorf hat die Rodung genehmigt. Klagen vor den Verwaltungsgerichten blieben erfolglos. Im globalen Maßstab sei der Wald für den Klimawandel nicht relevant, so der Tenor der Urteile.
„Allein hier in Wuppertal sind weitere 20 Hektar als Abbaugebiete für die Kalkwerke ausgewiesen“, mahnt dagegen Schlüter: „Geht es nach diesen Urteilen, kann jeder Wald in Deutschland abgeholzt werden“, fürchtet die Anwohnerin – und hofft auf eine neue Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
Marjolein Schlüter, Bürgerinitiative „Osterholz bleibt“
Doch auch im Wuppertaler Stadtrat gab es eine breite Mehrheit für die Abholzung. Dagegen stimmten nur die Linke und die Freien Wähler. Selbst aus der grünen Ratsfraktion kam nur eine einzige Enthaltung. Denn die Besitzerfamilie Iseke ist politisch bestens vernetzt: Kalkwerke-Geschäftsführer Moritz Iseke war lange Fraktionssprecher der Christdemokraten in der Bezirksvertretung Vohwinkel und auch Mitglied im Umweltausschuss des Stadtrats.
Wuppertals grüner Oberbürgermeister Uwe Schneidewind, der bei der Kommunalwahl 2020 auch von der CDU unterstützt wurde, hat versucht, die Rodung mit einem Runden Tisch zu verhindern. Bis zu seinem Wechsel in die Politik war er Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. „Für mich ist das eine extrem belastende Situation“, sagte Schneidewind der taz. „Der Waldschutz muss einen ganz anderen Stellenwert bekommen.“ Alternativen – etwa, den Abraum im Steinbruch selbst zu verkippen – hätten sich aber als „ökonomisch nicht tragfähig“ erwiesen. Den Kalkwerken war der Verzicht auf die Waldzerstörung offenbar schlicht zu teuer, denn eine sogenannte Innenverkippung würde den Zugang zu weiteren Kalkvorkommen erschweren. Für Nachfragen der taz war die Geschäftsführung des Unternehmens nicht erreichbar.
Auch der Plan, den Abraum aus Wuppertal in der rund zehn Kilometer entfernten Grube der konkurrierenden Firma Lhoist Rheinkalk zu lagern, scheiterte. Erzwungen werden könne das nicht, klagt Schneidewind. Der Oberbürgermeister fordert deshalb Änderungen der Naturschutz- und Kreislaufwirtschaftsgesetze auf Landes- und Bundesebene, will Kontakt zu den grün geführten Bundesministerien für Wirtschaft und für Umwelt in Berlin aufnehmen.
„Hier in Wuppertal werden wir an der Rodung nichts mehr ändern“, sagt Schneidewind. Er denkt darüber nach, ob dramatische Bilder der Räumung zum „Fanal für eine Gesetzesänderung“ werden könnten. Vorwürfe der Bürgerinitiative, den Runden Tisch zu spät einberufen zu haben, weißt er zurück: „Ich bin erst seit November 2020 im Amt – und kümmere mich seit Frühjahr 2021 um das Thema Osterholz.“
Die Waldschützer:innen der Bürgerinitiative aber sind auch von den Umweltverbänden enttäuscht. „Keine Bedenken“ hatte das gemeinsame Landesbüro von BUND, Nabu und LNU in einer Stellungnahme schon im Dezember 2020. Es mahnte lediglich „Maßnahmen zum Schutz vom Amphibien“ an. Dabei ist die Kalkindustrie nach Angaben ihres eigenen Bundesverbands „für 1,5 Prozent der CO2-Emissionen des deutschen Energie- und Industriesektors verantwortlich“.
Auch der lokale Naturschutzbeirat stimmte für die „notwendige Befreiung“ des Osterholzes vom Wald. Grund dafür sei „Greenwashing“, glauben Anwohner:innen wie Schlüter: Die Kalkwerke sind Partner lokaler Umweltschutzgruppen in einem Projekt zum Schutz von Uhus. „Wohl eher zögerlich unterwegs“ seien die Naturschutzverbände gewesen, heißt es deshalb selbstkritisch aus der Landeshauptstadt Düsseldorf.
Die Waldbesetzer:innen wollen Räumung und Rodung trotzdem so lange wie möglich verhindern. „Wir werden da sein“, sagt einer, der seit 2019 vor Ort ist. „Es kann nicht sein, dass wertvoller Lebensraum für die Profitinteressen Einzelner zerstört wird“, findet eine andere. Unterstützt werden sie von der Bürgerinitiative: „Ohne die Besetzung wäre der Wald längst weg“, sagt Schlüter. „Ich hoffe, dass zur Räumung noch viele weitere Aktivist:innen von überallher kommen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei