Protest gegen Nazi-Gewalt: Antifa lässt Böller stecken
Antifaschistische Demonstration in Hamburg verlangt Aufklärung über Terror des Nationalsozialistischen Untergrunds und Verstrickung der Geheimdienste.
HAMBURG taz | Fast 2.000 radikale Antifaschisten haben am Samstag in der Hamburger City unter dem Motto "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland" gegen den Terror des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) demonstriert. "Kampf den Nazis - Kampf dem Staat" und "NSU-Verbrechen aufklären - Verfassungsschutz auflösen" war auf den zentralen Transparenten zu lesen. Das Zwickauer NSU-Trio Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos wird von den Sicherheitsorganen für neun Morde an migrantischen Geschäftsleuten sowie für die Erschießung der Polizistin Michèle Kiesewetter verantwortlich gemacht.
Die Demonstration zog unter starker Polizeibegleitung vom Hauptbahnhof durch den Stadtteil St. Georg, entlang der Alster über die Flaniermeile Jungfernstieg zum Antikriegsdenkmal des Wiener Künstlers Alfred Hrdlicka. Der Marsch über die von City-Bummlern und Touristen stark frequentierte Mönckebergstraße war von der Polizei verboten worden.
Als Begründung gab die Polizei an, wegen des Teilnehmerkreises sei der Abschuss von Böllern zu erwarten. Diese Gefahrenprognose von Staats- und dem Verfassungsschutz erwies sich als Fehleinschätzung. Auch schon deshalb, weil vom Veranstalterkreis dezent magentafarbene Zettel mit der Anweisung verteilt wurden, dass Böllerwürfe unerwünscht und "dem Anlass unangemessen" seien.
Im Vorfeld war zudem befürchtet worden, dass die Polizei versuchen würde, die Demonstration frühzeitig aufzulösen. Trotz des großen Polizeiaufgebots und einem provokativen Seitentransparent "Ganz Hamburg hasst die Polizei" verhielt sich die Ordnungsmacht für Hamburger Verhältnisse zurückhaltend. "Das Polizeiaufgebot mit vier Wasserwerfern und zwei Räumpanzern war dennoch gewohnt martialisch und völlig überflüssig, wie der friedliche Verlauf unserer Demonstration zeigt", kommentiert Michaela Kurz, eine Sprecherin der Demo-Leitung, den Polizeieinsatz. Jetzt komme es darauf an, weiter politischen Druck auszuüben, "damit der NSU-Terror und die Verstrickung staatlicher Behörden aufgeklärt werden".
Dass Neonazis zu Morden, Bomben- und Brandschlägen fähig sind, ist seit dem Anschlag von Mölln mit zwei Toten nichts Neues. Doch die Ermittlungsbehörden blenden dies immer noch gern aus.
Der Brandanschlag auf ein Haus in der Lübecker Hafenstraße kostete am 18. Januar 1996 zehn Menschen das Leben, sechs davon waren Kinder. Obwohl sich vier Neonazis aus Grevesmühlen am Tatort befanden, konzentrierten sich die Ermittlungen auf den libanesischen Bewohner Safwan Eid. Die Kieler Landtags-Grünen fordern, die Ermittlungen gegen die Nazi-Gruppe neu aufzunehmen
Hingerichtet durch Kopfschüsse wurde der Türke Süleyman Tasköprü am 27. Juni 2001 in seinem Laden in Hamburg-Bahrenfeld. Die Polizei schloss einen rassistischen Hintergrund aus und nahm den Mord in die Liste der "Döner Morde" auf - für die wird inzwischen das Zwickauer Neonazi-Trio verantwortlich gemacht.
Schon während der Demo war in Beiträgen der alltägliche Rassismus und die Verharmlosung von Neonazigewalt kritisiert worden. Zudem wurde auf die Verstrickung der Geheimdienste hingewiesen. Es sei nicht nur deutlich geworden, dass Sicherheitsbehörden, die nach dem zweiten Weltkrieg von Ex-Nazis aufgebaut wurden, "auf dem rechten Auge blind" seien, sondern dass "die Grenzen zwischen Verfassungsschutz und militanter Neonaziszene in manchen Regionen fließend verlaufen".
Dass die Polizei Neonazismus ausblende, erklärt der Sprecher einer Jüdischen Gemeinde, habe "Kontinuität". Er erinnert an das Hamburger Reserve-Polizeibataillon 101, das im Sommer 1942 in polnischen Dörfern Juden aufspüren sollte und 38.000 Menschen erschoss. Der Sprecher forderte dazu auf, den für den 2. Juni geplanten Neonaziaufmarsch in Hamburg "auf der Straße zu verhindern".
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