Protest gegen Massentierhaltung: Nicht hier – aber auch nicht woanders
Wo ein großer Viehstall gebaut werden soll, protestiert oft auch eine Bürgerinitiative. Wie im uckermärkischen Jakobshagen. Was sind ihre Argumente?

Ulrich Hahn und Gert Müller sind Teil der Initiative. Beide sind zugezogen. Beide haben eine Wohnung in Berlin. Beide leben aber auch in Jakobshagen, knapp zwei Kilometer vom Weiler Eselshütte entfernt, wo der Stall stehen soll. Dass sich in der Initiative fast nur Zugezogene engagieren, bestätigen sie. „Der Rest hängt halt irgendwie auch mit drin“, sagt Hahn.
Zugezogen oder nicht – im Streit um den Stall in der Uckermark spielt das eine große Rolle. Es geht nicht nur um drei Hühner mehr oder weniger im Stall. Es geht ums Ganze. Für die einen ist es die Landwirtschaft, von der sie leben und in die sie viel investiert haben. Für die anderen gefährdet eben diese die Grundlagen unserer Umwelt.
Es scheint: Wo immer derzeit große Ställe gebaut werden sollen, versuchen Bürgerinitiativen, die Vorhaben zu stoppen. Zum einen, weil sie befürchten, dass sich ihre Lebensqualität vor Ort verschlechtert. So sagen Hahn und Müller: Die Luft, die solche Ställe ausstoßen, sei gesundheitsgefährdend. Es gebe in der Gegend bereits einige solcher Anlagen. Nachbarn der Ställe seien deutlich häufiger krank. „Die Luft auf dem Land ist teilweise schon schlechter als in der Stadt“, sagt Hahn.
Weltweite Probleme
Beide sorgen sich auch um die Bodenqualität. Der Stall bringe noch mehr Gülle und damit mehr Stickstoffbelastung. Da stehe mehr auf dem Spiel als das lokale Wohlbefinden, sagt Müller: „Uns geht es nicht nur darum, dass der Stall nicht hier gebaut wird, wir wehren uns gegen diese Form der Landwirtschaft.“ Wichtiger als die Probleme vor Ort seien die Probleme, die durch die industrialisierte Landwirtschaft weltweit entstünden: Die Vernichtung etwa von Artenvielfalt. Oder der Hunger durch die billigen Exporte, die Bauern in ärmeren Länder in den Bankrott zwängen.
Bauer Fürstenau hat eine andere Sicht auf den Protest. „Landwirtschaft stinkt eben auch mal“, sagt er. Aber von der hätten die Berliner eben keine Ahnung. „Die denken, dass es bio ist, wenn man nichts macht, aber der Boden braucht ja Gülle, das ist ein Kreislauf.“
Gülle als Dünger ist notwendig. Aber weil so viele Tiere gehalten werden, gibt es mehr Mist als nötig. Bundesweit sind die Böden dadurch mit zu viel Stickstoff belastet. Allerdings: In der Uckermark ist die Belastung ist gering.
Doch Hahn und Müller lehnen diese Art intensiver Landwirtschaft insgesamt ab. Müller engagiert sich auch gegen eine Schweinemastanlage, die zehn Kilometer von Jakobshagen entfernt in Haßleben entstehen soll. Seit zwölf Jahren steht der Plan, inzwischen hat der Investor eine Genehmigung für 36.000 statt 85.000 Schweine – ein Erfolg des Protests. „Bürgerinitiativen sind absolut zentral für den Widerstand gegen die industrielle Landwirtschaft“, sagt Jens-Martin Rode vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) aus Brandenburg. Der Verein hat einen Leitfaden für Bürgerinitiativen entwickelt, der erklärt, wie man sich am besten gegen große Anlagen wehrt.
500 Bauvorhaben gestoppt
Etwa 300 Bürgerinitiativen gegen landwirtschaftliche Bauvorhaben gibt es aktuell. Durch bundesweite Vernetzung haben sie längst politische Kraft entfaltet. „Bürgerinitiativen haben seit 2009 über 500 Bauvorhaben gestoppt“ sagt Eckehard Niemann von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Andere Verfahren werden drastisch in die Länge gezogen – wie die Schweinemast in Haßleben.
Und was passiert nun mit Landwirt Fürstenau und seinen Stallplänen in Eselshütte? Hahn und Müller wollen ihn nun dazu bewegen, den großen Stall zumindest nach Biorichtlinien zu führen. Aber Fürstenau winkt ab. Die Nachfrage nach Bioeiern sei gestillt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart