Protest gegen Kies- und Sandabbau: Der neue Kampf gegen Gruben
Bei Frankfurt protestieren Klimaaktivist*innen gegen Sand- und Kiesabbau in einem Wald. Konflikte wie dieser häufen sich in Deutschland.
Im Bannwald von Langen bei Frankfurt tobt ein Konflikt, wie er immer häufiger wird: Klima- und Umweltaktivist*innen protestieren gegen den Sand- und Kiesabbau.
Hier in Langen will die Firma Sehring bis zu 67 Hektar geschützte Natur – deshalb der Name „Bannwald“ – mit einer Grube ersetzen. In unmittelbarer Nähe harren Aktivist*innen der Gruppe „Wald statt Asphalt“ seit Juli in einem Protestcamp aus. „Es kann nicht sein, dass in Zeiten des Waldsterbens und der sich verschärfenden Klimakrise wertvolle und intakte Waldgebiete wie der Langener Bannwald gerodet werden“, erklären sie.
Ihr Camp haben die Aktivist*innen „Banny“ getauft – in Anlehnung an den berüchtigten Dannenröder Forst „Danni“, der besetzt wurde, um eine Autobahn zu stoppen. Für die derzeit rund ein Dutzend Bewohner*innen ist Banny auch ein Freiraum, um eine alternative, hierarchiefreie Lebensweise auszuprobieren, erzählt Hefe – möglichst frei von Kapitalismus, Sexismus und Patriarchat: „Was uns alle eint, ist der Kampf gegen die Zerstörung der Natur.“
Konflikte um Flächennutzung werden zunehmen
Juristisch ist die Lage im Langener Bannwald bereits entschieden: Das Bundesverwaltungsgericht hat 2022 nach einer Klage des BUND die Genehmigung für den Abbau bestätigt – was die Protestierenden jedoch nicht davon abhält, weiterhin Widerstand zu leisten. Schließlich nimmt die politische und rechtliche Debatte um den Abbau von Sand und Kies in Deutschland gerade erst Fahrt auf.
„Konflikte um die Nutzung natürlicher Ressourcen nehmen seit Jahren weltweit zu“, beobachtet Jürgen Scheffran, Professor für integrative Geografie an der Universität Hamburg. Das gelte auch für Deutschland: Die Landflächen seien begrenzt. Deshalb konkurrierten Unternehmen, Gemeinden, Menschen und Natur um Platz für Siedlungs- und Straßenbau, Landwirtschaft, Energienutzung oder Schutzgebiete, sagt Scheffran. Er forscht zu Klimawandel und Ressourcenkonflikten.
Wegen des „Infrastruktur-Staus“ würden sich solche Fälle in Zukunft verschärfen, warnt er. Der Bau von Infrastruktur sei jahrzehntelang vernachlässigt worden – mit Ausnahme von Straßen. Doch auch Radwege, Bahntrassen oder der Ausbau erneuerbarer Energien benötigten erhebliche Mengen an Ressourcen, stellt der Wissenschaftler fest: „Wenn die vor Ort abgebaut werden, gibt es einen direkten Widerspruch zwischen lokalen Eigeninteressen und übergeordnetem Umwelt- und Klimaschutz.“
Beispiele dafür gibt es viele: Im Rheinland protestieren Bürgerinitiativen wie „Rettet den Niederrhein“ seit 2019 gegen die Ausweitung von Kies-Abbauflächen. In Baden-Württemberg gibt es seit 2021 ein Baumhaus-Camp im Altdorfer Wald bei Ravensburg, das noch heute besteht. Der dortige Wald soll in großen Teilen einer bis zu 90 Meter tiefen Kiesgrube zum Opfer fallen. Im sächsischen Würschnitz wurde Anfang 2023 ein Klima-Protestcamp in einem Waldstück geräumt.
Für Unternehmer ist Protest „ökologischer Nonsens“
Kern der Konflikte ist die Frage, womit in Zukunft gebaut werden soll. Bisher ist das selten nachhaltig. Die Baubranche ist für 15 Prozent der Emissionen in Deutschland verantwortlich. Allein auf die Herstellung von Baustoffen für den Neubau oder die Modernisierung von Gebäuden entfallen rund acht Prozent, was in etwa dem doppelten jährlichen CO₂-Ausstoß des deutschen Flugverkehrs entspricht. Im wirtschaftsstarken Rhein-Main-Gebiet ist der Druck auf die Natur besonders groß: Bau- und Verkehrsprojekte verschlingen viel Platz – und Rohstoffe.
Für Dirk Pollert, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände, ist die Ablehnung des Kies- und Sandabbaus „ökologischer Nonsens“. Sand und Kies würden für Wohnungen und die Infrastruktur benötigt. „Vieles kann glücklicherweise mit Rohstoffen aus der Region gebaut werden“, sagt er. CO₂-intensive Transporte würden so vermieden, was klimafreundlicher sei.
Bei den Klimaschützer*innen sorgt das für Kopfschütteln. „Bauwende heißt nicht: mehr Beton aus Deutschland“, kritisiert Mira. „Im Gegenteil: Es geht darum, von immer mehr Frischbeton wegzukommen.“ Es gebe ökologische Alternativen mit nachwachsenden Ressourcen, erklärt der Aktivist – etwa, wenn in Pflanzen gespeichertes CO₂ in einem Haus verbaut wird, bei Häusern aus Holz oder mit Strohdächern zum Beispiel. „Aber solange es profitabler ist, riesige Waldflächen zu zerstören, als Rohstoffe aus der Natur zu nutzen oder zu recyceln, wird sich nichts ändern.“ Der Aktivist hält inne. „Wir verhindern hier ein Stück weit, dass es sich lohnt.“
Auch Geograf Jürgen Scheffran weist darauf hin, dass die Alternativen zum Sand- und Kiesabbau noch deutlich mehr Geld kosten. Das Recycling großer Mengen von Bauschutt biete zwar großes Potenzial, sei aber sehr teuer. Er plädiert dafür, Marktanreize wie den CO₂-Preis auch für Umweltbelastungen wie beim Sand- und Kiesabbau einzuführen – und bis dahin nicht dort abzubauen, wo die Natur am stärksten belastet wird.
Sollte die Rodung beginnen, sind die Baumhäuser im Weg
Thomas Norgall, der hessische Landesvorsitzende des BUND, kann den Protest in Langen nachvollziehen. Jedoch seien alle Rechtsmittel bereits ausgeschöpft und das Gericht habe letztinstanzlich gegen den Wald entschieden, erklärt er der taz. In der Diskussion fehle es an „Bewusstsein für die Endlichkeit von Kies und Sand“, beklagt er. Es würden dringend Ersatzstoffe gebraucht. „Stattdessen werden sogar Schutzgebiete zerstört, um die letzten Vorkommen auszubeuten.“
Die Fronten scheinen verhärtet. Während die Klimaaktivist*innen im Bannwald von Langen weiter ausharren, sieht die Firma Sehring ihre Arbeit durch das Gerichtsurteil abgesichert. Stefan Sehring, Geschäftsführer des Unternehmens, sagte in der „Hessenschau“, die Aktivist*innen seien „Antidemokraten“, die Gesetze mit Füßen treten. Er kündigte an, dass Schäden, die durch die Proteste entstünden, mit allen rechtlichen Mitteln eingetrieben würden. Zum weiteren Rohstoffabbau will sich das Unternehmern auf Anfrage der taz nicht äußern.
Immerhin: In Hessens Bannwäldern dürfen künftig keine Vorranggebiete für den Rohstoffabbau mehr ausgewiesen werden. Die schwarz-grüne Landesregierung hatte 2021 eine Gesetzesänderung beschlossen. Bestehende Genehmigungen wie die von Sehring blieben davon allerdings unberührt.
In der Nähe der Abbaugrenze haben die Aktivist*innen ein zwölf Meter hohes Baumhaus errichtet, von dem aus sich die Grube gut überblicken lässt. Sollte die Rodung beginnen, stünden sie im Weg. Mira sagt: „Wir werden bleiben, solange uns der Wald braucht.“
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