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Protest gegen GentrifizierungLaterne, Laterne, enteignet Konzerne

Hunderte Menschen beschwören beim widerständigen Laternenumzug von Bizim Kiez die rebellischen Geister Kreuzbergs. Verdrängung gibt es dort viel.

Ein Kiezdrache gegen die Investoren Foto: Florian Boillot

Berlin taz | Leise rieselt der erste richtige Schnee auf Kreuzbergs Straßen, doch von einer stillen Nacht kann keine Rede sein. Hunderte Kinder und Erwachsene klirren am Rio-Reiser-Platz in Kreuzberg mit ihren Schlüsselbunden, die die drohende Verdrängung vieler Menschen aus dem Kiez symbolisieren sollen. Sie beschwören damit den Kiezdrachen, eine fast zehn Meter lange und leuchtenden Figur, die den Widerstandsgeist des Viertels kanalisieren soll.

Und tatsächlich erhebt sich der von Ak­ti­vis­t:in­nen getragene Drache so unter dem Gejohle der Menge in die Nacht. „Investoren, gebt fein Acht, der Kiezdrache ist wach“, schallt ein für diese Perfomance geschriebenes Lied durch die Straßen.

Bereits das achte Mal fand am frühen Samstagabend der von der Initiative Bizim Kiez organisierte „widerständige Laternenumzug gegen Verdrängung“ statt. Trotz Eiseskälte nahmen laut Polizei am Höhepunkt 500 Erwachsene und Kinder an der Demonstration teil, die quer durch das Viertel zog. Der Umzug unter dem diesjährigen Motto „Geht’s noch?!“ findet traditionell rund um den Martinstag statt.

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Viele Kinder schwenken an Seilen befestigte Laternen durch die Luft. Derweil halten ihre Eltern beleuchtete Schilder in die Höhe, auf denen etwa „Giffey und Geisel abwählen“ zu lesen ist. Immer wieder beziehen sich Red­ne­r:in­nen in ihren Beiträgen auf die kommenden Wahlen. Die zentralen Anliegen dabei: das bezirkliche Vorkaufsrecht zu retten und die Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne umzusetzen.

Im Fokus standen aber die vielen Verdrängungsschicksale im Kiez. Erneut zeigten die vor den jeweiligen Häusern von Betroffenen gehaltenen Reden, mit welchen Methoden im Haifischbecken Berlin gearbeitet wird.

Da sind etwa die Ver­mie­te­r:in­nen der Oranienstraße 169, eigentlich renommierte linke Jour­na­lis­t:in­nen, die zum Teil auch für die taz gearbeitet haben. 1993 kauften sie das Haus günstig und sanierten es mit öffentlichen Fördergeldern – um es jetzt offenbar an einen privaten Investor zu verhökern. Die Mieter:innen, von denen viele einst freundschaftliche Verhältnisse zu ihren Ver­mie­te­r:in­nen pflegen, erhalten kaum Auskünfte, selbst Anfragen von zahlreiche Be­zirks­po­li­ti­ke­r:in­nen lassen die Ei­gen­tü­me­r:in­nen zum Teil unbeantwortet. Unter anderem deshalb fürchten viele Be­woh­ne­r:in­nen ihre Verdrängung.

Akut ist diese Bedrohung bereits für die Mie­te­r:in­nen der Manteuffelstraße 51. Nachdem die Wohnungen 1998 in Eigentum umgewandelt wurden, so erzählt es ein Redner, flattern dort nun die Kündigungen ein. Demnächst solle eine Rentnerin nach 37 Jahren aus ihrer Wohnung geworfen werden, weil dort der 19-jährige Sohn des Eigentümers einziehen soll, der, so heißt es in der Rede, Politiker bei den Grünen werden wolle. „Na herzlich willkommen“, ruft der Redner spöttisch ins Mikro.

Luxuswohnungen verstecken sich

Das Beispiel Reichenberger Straße 142 zeigt derweil, warum Neubau eben kein Allheilmittel gegen den überlasteten Wohnungsmarkt ist. Im Hinterhof soll dort ein freistehendes Haus entstehen, in dem auf 6 Geschossen nur eine Gewerbeeinheit und 10 Wohnungen geplant sind – die für 650.000 bis 2,5 Millionen Euro angeboten werden.

Unter dem Slogan „Hype & Hide“ wirbt die Immobilienfirma EverEstate sowohl mit dem alternativen Kreuzberger Flair als auch damit, dass das Haus „nicht einsehbar“ ist. Der Redner des angrenzenden Hausprojekts Lause, welches selbst lange von Verdrängung bedroht war, verspricht aber: „Mit uns gibt es keinen ruhigen Hinterhof!“.

Trotz dieser deprimierenden Geschichten bleibt die Stimmung weihnachtlich – und zugleich widerspenstig. Eltern wippen Tee und Glühwein trinkend zu einer Punkinterpretation eines bekannten Festtaglieds. „Laterne, Laterne, wir enteignen die Konzerne“, heißt es da. Kinder werfen sich mit Schneebällen ab, Jugendliche zeichnen Hausbesetzer- und Anarchozeichen auf verschneite Windschutzscheiben. Widerstand, das lernen die Kinder dabei vielleicht, kann Spaß machen.

Und es ging es der Demo ja auch um sie. Wie schon im vorherigen Jahr war die Situation in der Kita IrgendWieAnders in der Oppelner Straße 20 Thema. Einerseits ist die Kita eine Erfolgsgeschichte, weil Bürgermeisterin Franziska Giffey nach langen Nachbarschaftsprotesten intervenierte – wonach der Vermieter von einer besonders drastischen Mieterhöhung abgesehen habe, erzählt Leiterin Nina Hofeditz.

Rücktritt von Geisel gefordert

Daran, dass der Vertrag 2026 auslaufen soll, halte dieser aber fest. Das drohe der Kita schon bald das Genick zu brechen, sagt Hofeditz. „Aktuell können wir schon fünf Kinder nicht bis zur Einschulung begleiten – und es werden jährlich mehr.“ Mit den Kitaplätzen würden Fördergelder wegbrechen, auch Jobs seien bedroht.

Weit verbreitet war auf dem Protest die Frustration, dass nach dem Ende von Mietendeckel und Vorkaufsrecht kaum Mittel bleiben, der Immobilienspekulation etwas entgegenzusetzen. Viele Protestierende hoffen deshalb auf Deutsche Wohnen & Co enteignen. Die Initiative ist vergangene Woche in den Wahlkampf eingetreten – obwohl über den Volksentscheid nicht neu abgestimmt wird.

Auf in der Stadt kaum zu übersehenen Plakaten fordert die Initiative „Immobilienlobby abwählen!“. Abgebildet sind die durchgestrichenen Köpfe von, so heißt es dort, „Noch-Senator für Stadtentwicklung“ Andreas Geisel (SPD), „Noch-Bürgermeisterin“ Franziska Giffey (SPD) und CDU-Chef Kai Wegner („noch schlimmer“). Kürzlich hat die Initiative auch ihre Forderung nach dem Rücktritt von Geisel erneuert.

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