Protest gegen Fracking: Ein Dorf hat Angst
Im niedersächsischen Leese möchte Exxon Mobil nach Erdgas suchen – mit der umstrittenen Frackingmethode. Im Ort sind die meisten Leute dagegen.
Am 27. Januar dieses Jahres erklärte der Gemeinderat Leese den Ort für „frackingfrei“. Rechtliche Bedeutung hatte das keine: Bergrecht ist Bundesrecht und kann von den Kommunen nicht beeinflusst werden. Aber das Symbol zählt. Es war Hartmanns Initiative. Kurz darauf lag der Drohbrief in seinem Briefkasten. Seine Adresse ist auf den Trauerumschlag gedruckt, der Poststempel blass und nur schwer lesbar. „Da hat sich jemand viel Mühe gegeben.“ Hartmann erstattete Anzeige gegen unbekannt – ohne Erfolg: Die Staatsanwaltschaft Verden hat das Verfahren eingestellt.
Leese ist ein verträumtes Dorf: alte Bauernhöfe und Einfamilienhäuser dicht an dicht, man kennt sich hier, hält auf der Straße Smalltalk. Lediglich die viel befahrene Bundesstraße 215 führt Auswärtige durch das 1.600-Einwohner-Dorf. Viel los ist nicht. Ein Laster hält an einer roten Ampel, der Fahrer wartet auf grün. Ob sein Blick auf eines der vielen Schilder gegen das Fracking fällt? Die hängen hier an vielen Zäunen, in Vorgärten oder an den Hauswänden. Die einen warnen mit einer roten Hand vor der Erdgasförderung –die anderen mit einem aufgedruckten Totenkopf.
Hartmann wohnt im Nordosten von Leese. Auf einem Feld, keine 300 Schritte von seinem Haus, möchte Exxon Mobil den Abbau von Gas zunächst erproben, bei Erfolg später auch richtig fördern. Die Bohrplattform könnte Hartmann von mehreren Zimmern seines Hauses aus sehen. „Das würde nicht nur optisch stören, sondern auch akustisch.“ Schon weil Exxon Mobil im Schichtbetrieb bohren würde – 24 Stunden am Tag. Gerade wegen der hohen Lebensqualität aber habe er Leese ausgewählt, als er 1998 ins Dorf zog, sagt Hartmann: „Sie wäre damit dauerhaft zerstört.“
Weiter nördlich grenzt das Feld an den Trimm-dich-Pfad. Hobbysportler laufen den Weg entlang, auch Traktoren fahren gelegentlich vorbei. Noch gibt es keine Förderplattform. Ein Fass mit grell-gelber Anti-Fracking-Aufschrift verrät aber, was hier entstehen soll. Es ist der Treffpunkt der Frackinggegner für ihre Aktionen. Auch Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) stand schon hier.
Oliver Ziebolz ist Sprecher der Bürgerinitiative, die den Leeser Fracking-Widerstand organisiert. „Wir sind hier nicht in einer Gegend, wo niemand lebt, sondern direkt bei den Menschen“, sagt der 50-Jährige und zeigt auf die Siedlung im Hintergrund, die Siedlung, in der auch Hartmann wohnt. Nach den Plänen von Exxon Mobil werde zunächst vertikal gebohrt. Das Schiefergestein in der Tiefe soll dann aber horizontal erschlossen werden, in Richtung Südwesten. „Das geht“, sagt Ziebolz, „bis unter unseren Kirchturm.“
Um an das Erdgas zu gelangen, wird beim Fracking unter hohem Druck mit Chemikalien versetztes Wasser in ein Bohrloch gepumpt, um die Gesteinsschichten aufzubrechen –gebundenes Gas kann so entweichen. „Niemand kann sagen, dass das der Umwelt nicht langfristig schaden könnte“, sagt Ziebolz. Er befürchtet Verunreinigungen der Böden und des Grundwassers.
In den USA boomt das Fracking seit Anfang der 2000er-Jahre. Immer wieder allerdings tritt durch Lecks in den Pipelines giftiges Wasser aus: Bei der Förderung kommt neben dem Gas auch Wasser aus der Tiefe hoch. Dieses Lagerstättenwasser ist äußerst salzig, leicht radioaktiv und angereichert mit Quecksilber und Kohlenwasserstoffen. Damit ist es krebserregend.
Auch Erdbeben stehen nachweislich im Zusammenhang mit Fracking: Die fördernden Erdgasfirmen pumpen das mit Schwermetallen belastete Wasser häufig zurück unter die Erde, aus Kostengründen. Die US-Geologiebehörde hat festgestellt, dass darauf einige Erdbeben zurückzuführen sind.
Exxon Mobil scheint sich in die Rolle der Unschuld geflüchtet zu haben: „Zu dem Thema ist bereits alles gesagt“, erklärt Sprecher Klaus Torp und verweist auf das ausführliche Infomaterial im Internet. Dort heißt es, dass die Firma für Schiefergestein weder giftige noch umweltgefährdende Stoffe verwendet. Dass gegebenenfalls Lagerstättenwasser mitgefördert wird, räumt das Unternehmen ein.
Wie in den USA soll es aufbereitet und anschließend in behördlich zugelassene „Versenkbohrungen“ gepumpt werden. Angst vor Erdbeben müsse niemand haben, erklärt Exxon Mobil: Die beim Fracking eingebrachte Energie genüge nicht, um „spürbare Erschütterungen“ zu verursachen – leichte Bodenbewegungen und Vibrationen seien in seltenen Fällen möglich.
Bekannt sind die Förderpläne für Leese seit dem Jahr 2012: „Mehr als 200 Menschen kamen damals zur einer ersten Infoveranstaltungen“, sagt Ziebolz. Der Saal sei völlig überfüllt gewesen. Hier gründete sich auch die Bürgerinitiative. Drei Jahre später hat Exxon Mobil zwar alles geplant, genehmigt ist jedoch noch nichts: Das niedersächsische Landesbergbauamt (LBEG) hat Fracking letztmalig im Jahr 2011 erlaubt. Da gab es mehr als 300 Förderstellen, an denen die umstrittene Methode zum Einsatz kam – allerdings nur in sogenannten konventionellen Lagerstätten, nicht in Schiefergestein. Eine gesetzliche Regelung gibt es für beide Förderarten nicht.
Oliver Ziebolz macht das unruhig. Er geht drei schnelle Schritte auf das Feld, drei wieder zurück. „Wir hängen mit einem Ohr immer an Berlin.“ Es ist kalt in Leese. Sein kurzärmeliges T-Shirt mit dem Anti-Fracking-Logo hat der 50-Jährige dennoch angezogen.
Zu wichtig scheint das Thema für ihn zu sein, um es mit einer Jacke zu verdecken. Ziebolz ist Gebietsreferent beim Blutspendendienst des Deutschen Roten Kreuzes. Er sorgt sich um die Gesundheit der Menschen. „Niemand kann ausschließen, dass es in 50 Jahren keine Folgeschäden gibt.“
Das sehen auch Teile des Bundestags so: Die Abgeordneten arbeiten derzeit an einem Gesetzespaket. Unter strengeren Auflagen soll die Industrie das konventionelle Fracking fortführen dürfen. In Schiefergestein dürfte sie dann aber bis 2019 kein Erdgas fördern dürfen, wobei Probebohrungen erlaubt blieben. Im Juni sollte das Paket verabschiedet werden, doch es gibt Streit in der Großen Koalition –das Ende ist offen.
Zwei Milliarden Euro würden seine Mitgliedsunternehmen in den kommenden zehn Jahren investieren, behauptet der Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung (WEG). Geld, das aber auch mitsamt Arbeitsplätzen und Know-how ins Ausland fließen könnte. „Wer das nicht will“, sagt der WEG-Vorsitzende Gernot Kalkoffen, „muss das Gesetzespaket auf den Weg bringen.“
Für Lobbyarbeit steht der Branche trotz des Stillstands offenbar genug Geld zur Verfügung: Noch bis zu diesem Schuljahr kooperierte der WEG mit sechs Schulen in der Region – gestartet unter der Schirmherrschaft des ehemaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU).
Partnerunternehmen des WEG boten Betriebsbesichtigungen und Praktikumsplätze an, sponserten mit bis zu 10.000 Euro jährlich Ausstattung und Materialien für die naturwissenschaftlichen Fächer; auch Exxon Mobil machte mit. Von den Schulen verlangte der WEG im Gegenzug, Erdöl- und Erdgasthemen in den Schulunterricht aufzunehmen. Bei der Unterrichtsplanung half die Förderindustrie kräftig mit.
Seit Kurzem ist damit Schluss. Das Kultusministerium in Hannover hat die Zusammenarbeit untersagt. „Eine solche Vertragsgestaltung eröffnet unseres Erachtens Möglichkeiten der Einflussnahme“, erklärt eine Ministeriumssprecherin. Das verstoße gegen die Antikorruptionsrichtlinie des Landes. Zu den Kooperationspartnern gehörten unter anderem die Gymnasien in den benachbarten Städten Sulingen und Diepholz. Sie alle liegen im potentiellen Einzugsgebiet von Fracking-Maßnahmen –reiner Zufall?
„Die Kooperationen dienten ganz klar dazu, die Reputation der Branche zu stärken“, sagt Felix Kamella vom Verein Lobbycontrol. Im konkreten Beispiel sollte mehr Akzeptanz für den Erdgasabbau in der Region erreicht werden. „Mit Bildungsförderung geht das immer gut“, so Kamella: Sie erwecke den Anschein, als trage das Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung.
Ziebolz wundert das nicht. „Sind halt Profis.“ Mittlerweile ist auch ihm kalt geworden. Zum Kaffeetrinken geht es in den „Leeser Dorfladen“. Den haben die Leute hier selbst gegründet: Sie haben Anteilsscheine zu je 100 Euro gekauft und in diesem Jahr den Laden eröffnet; einen klassischen Supermarkt gibt es hier nicht mehr. „Die Gemeinschaft“, sagt Ziebolz, „zeichnet dieses Dorf aus.“ Und die verdankt sich nicht zuletzt dem Protest gegen das Fracking.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!