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Propaganda in sozialen NetzwerkenDie Scharia beginnt auf Instagram

Islamistische Propaganda in sozialen Netzwerken ist nicht leicht zu erkennen. Der Verfassungsschutz warnt vor neuen Gruppen.

Protestierender vor dem Brandenburger Tor in Berlin Foto: Michele Tantussi/reuters

Es sind oft die unterschwelligen Dinge, die am gefährlichsten sein können. Der kürzlich veröffentlichte Bundesverfassungsschutzbericht zählt 13.425 Propagandadelikte im vergangenen Jahr – ein stagnierender Wert. Aber wie kann das sein? Gerade beim Islamismus könnte man zu anderen Schlussfolgerungen kommen. Enthauptungen und Kämpfe sind mittlerweile seltener im Internet zu finden. Kurz nachdem der sogenannte Islamische Staat 2014 seine Feldzüge begann, wurde das Internet überschwemmt mit solchen Videos. Wer wollte, konnte live miterleben, wie Geiseln erschossen wurden.

Das alles sollte dafür sorgen, dass noch mehr Fanatisierte für den IS in den Kampf ziehen. Youtube, Facebook und Co haben daraufhin einiges unternommen, um das zu verhindern. Beschwerdestrukturen wurden vereinfacht und – auch auf politischen Druck – mehr Kon­trollen eingeführt. Islamistische Propaganda ist in vielen westlichen Staaten verboten.

Aber eine andere Art der Propaganda dominiert im Moment die sozialen Netzwerke. Eine Form, die, wie manche Wis­sen­schaft­le­r:in­nen das nennen, mit der „Wolf im Schafspelz“-Methode vorgeht. Es geht um nichtgewaltverherrlichende Propaganda.

Seiten wie Muslim Interaktiv, Realität Islam oder Generation Islam stehen beim Ver­fas­sungs­schutz im Verdacht, auf diese Art islamistische Propaganda zu verbreiten. Diese neuartigen Gruppen haben Zehntausende Fol­lo­wer:­in­nen auf verschiedenen Social-Media-Seiten, wo sie sich nach Selbstauskunft „gegen Islamfeindlichkeit“ einsetzen.

Nährboden für Radikalisierung

Der Hamburger Verfassungsschutz allerdings warnt: Diese Gruppen besäßen eine Nähe zur islamistischen Hizb ut-Tahrir (HuT), gegen die es seit 2003 ein Betätigungsverbot in Deutschland gibt. Die HuT wolle durch diese Ablegergruppen um Mitglieder werben und ihre Ideologien verbreiten. Das sagt auch der Bundesverfassungsschutz: „Im Rekrutierungsprozess nehmen sie eine wesentliche Rolle ein und bereiten damit einen Nährboden für die Radikalisierung junger Muslime.“

Die HuT hat sich zum Ziel gesetzt, die Scharia einzuführen, also einen Staat, der unter „Gottes Regeln“ steht. Ein Kalif soll die Auslegung dieser Regeln interpretieren und so regieren. Der Bundesverfassungsschutz sieht eine „klare Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ durch die HuT.

„Bei der Propaganda geht es in erster Linie darum, die eigene Ideologie zu verbreiten. Pro­pa­gan­dis­t:in­nen wollen das Meinungsklima beeinflussen und grundlegend die Gesellschaft ändern“, erklärt Bernd Zywietz, Leiter des Fachbereichs Politischer Extremismus bei der Organisation jugendschutz.net. Und weiter: „Islamisten und Islamistinnen inszenieren sich als Autorität oder geben sich bewusst jugendlich. Man will ein Gemeinschaftserleben schaffen.“

Zywietz selbst forscht schon seit vielen Jahren dazu. „Propaganda muss eher als eine rhetorische Form gesehen werden, die in einzelnen Postings mal mehr und mal weniger stark ausgeprägt ist. Wichtig ist, die Seiten in den Netzwerken immer in Gänze zu betrachten“, erklärt er. Doch verboten sind Muslim Interaktiv, Realität Islam und Generation Islam nicht. Die Abgrenzung zwischen verbotener Propaganda und noch ertragbarem Aktivismus sei nicht immer ganz einfach. Genau das nutzen solche Gruppen.

„Wir sprechen von einem legalistischen Islamismus. Die Beteiligten operieren noch gerade so im gesetzlichen Rahmen, dass die staatlichen Behörden nicht eingreifen können. Die Mitglieder haben gelernt, dass es nichts bringt, wenn ihre Inhalte überall gelöscht werden“, sagt Ex­tremismusforscher Moussa Al-Hassan Diaw.

Beispiel Muslim Interaktiv (MI). Die Gruppe hat ihre Social-Media-Seiten überwiegend im März 2020 gegründet. Sie postet regelmäßig Fotos und Videos, die hochwertig produziert sind, reißerische Musik haben oder emotionale Bilder zeigen. Gruppenmitglieder stechen mit Messern symbolisch auf Plakate ein, auf denen die Namen muslimischer Opfer rechtsradikaler Anschläge stehen.

In den Postings erklären sie, dass Staaten wie Frankreich und Deutschland den Islamhass verstärken und nicht dagegen vorgehen. Der amerikanische Präsident Joe Biden wird kurz nach seiner Amtseinführung mit den Worten „Same Terror, Different Face“ begrüßt. Auf einer Demo gegen die Politik des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz wird dieser mehrfach mit Hitler verglichen. Angriffe auf Mus­li­m:in­nen würden nicht verhindert werden und seien ohnehin eine Folge des „Assimilationszwangs“, der in den Staaten herrsche. Gleichzeitig müssten sich alle Mus­li­m:in­nen zusammentun, um für ein gutes Leben in diesen Ländern zu kämpfen.

Feindbild-Erstellung zeugt von Propaganda

Auch den Medien wird immer wieder vorgeworfen, sie würden den Hass der Gesellschaft auf den Islam vorantreiben, indem sie falsch berichteten. „Sie instrumentalisieren bestimmte Themen zur Darstellung einer vermeintlich fortwährenden Ablehnungshaltung der Politik und Gesellschaft in Deutschland gegenüber der gesamten muslimischen Community“, heißt es vom Verfassungsschutz aus Hamburg, wo auch die meisten Gründer der Gruppe leben.

Laut Ex­per­t:in­nen der Extremismusforschung sind die Erstellung eines Feindbilds und das Opfernarrativ deutliche Anzeichen dafür, dass es sich um Propaganda handeln könnte. MI will ein klares Weltbild zeichnen: Die Mus­li­m:in­nen auf der einen Seite, die Ungläubigen auf der anderen. Sie wollen sich abgrenzen gegen den bösen Gegner.

Und noch weitere Punkte kommen dazu. Bei Twitter schreibt Muslim Interaktiv: „One State. #ReturnTheKhilafah.“ Es geht also nicht nur um eine Solidarisierung unter Muslim:innen, sondern um eine konkrete Forderung: die Errichtung eines Kalifats.

Dazu wird in einem Video der „Wunsch, unter einer gemeinsamen Flagge zu leben“, ergänzt oder bei Telegram der Hashtag „#EineUmmahEinStaat“ verwendet. Die Ummah fasst die Gemeinschaft der muslimischen Gläubigen zusammen.

Fraglich ist, inwiefern das mit dem Ziel zusammenpasst, ein gemeinsames Zusammenleben mit nichtmuslimischen Mit­bür­ge­r:in­nen in westlichen Staaten zu ermöglichen. „Mit ihrer Propaganda schüren diese und ähnliche Gruppierungen Ängste und Misstrauen gegenüber der Rechtsstaatlichkeit und erzeugen eine ablehnende Haltung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung“, schreibt der Bundesverfassungsschutz auf Anfrage der taz.

Coronapandemie wird umgedeutet

Das ist der entscheidende Punkt, sagt Diaw: „Islamistische Gruppen haben dieselbe Ideologie und das gleiche Ziel. Der einzige Unterschied zu verbotenen Gruppen ist hier die Methode, wie das erreicht werden soll.“ Nur weil die Ideologie nicht so offensichtlich sei, ist sie nicht automatisch harmloser.

Auch das Coronavirus ist in der islamistischen Propaganda in sozialen Netzwerken ein wichtiges Thema. Forschende des Projekts RISE vom Institut für Medienpädagogik in München haben mehrere Youtube-Videos von islamistischen Gruppen ausgewertet, zu denen Muslim Interaktiv allerdings nicht gehörte. Is­la­mis­t:in­nen sagen laut der Studie voraus, dass die Pandemie erst enden wird, wenn sich alle richtig verhalten, wobei sich „richtig“ auf ihre Ideologie bezieht. Außerdem wird das Virus in manchen Videos als Beweis für die Macht von Allah gesehen. Deshalb solle man sich vor Gott mit seinem Glauben bewähren. MI nutzt eine ähnliche Rhetorik in ihren Videos, bei Nachrichten auf Telegram und Instagram. Sie urteilt, dass das System der Demokratie in solchen Krisen „scheitere“.

Fakt ist, dass MI immer mehr Aufmerksamkeit generiert – und das nicht nur in den sozialen Medien. Bei mehreren Demonstrationen in Hamburg und Berlin zeigte sich die Gruppe vermummt und in einheitlicher Kleidung. Rund 100 Männer in schwarzen Pullovern, mit Mundschutz und dunklen Hosen in Reih und Glied vor dem Brandenburger Tor. Zuletzt riefen Teilnehmende laut Medienberichten antisemitische Parolen auf einer angemeldeten Pro-Palästina-Demonstration in Hamburg. Dort trugen einige vier Särge durch Straßen, um zu demonstrieren, dass der muslimische Glaube von der Mehrheitsgesellschaft unterdrückt wird.

Zu einem Statement waren die drei angesprochenen Gruppen nicht bereit. Realität Islam und MI knüpften ein mögliches Interview an die Bedingung, dass sie den fertigen Text als erstes lesen dürften und erst dann entscheiden, ob sie ihn mitsamt ihren Zitaten freigeben wollten. Unter diesen Bedingungen haben wir wie in solchen Fällen üblich auf ein Gespräch verzichtet. Generation Islam meldete sich auf die Anfragen der taz nicht.

Und doch: Ist diese Art der Propaganda schon zu viel, oder fällt das alles noch unter die Meinungsfreiheit? Auch wenn vieles dafür spricht und die Verfassungsschutzbehörden die Gruppen im Auge behalten, kann noch kein eindeutiges, abschließendes Resultat beschieden werden.

Das sei auch bei Muslim Interaktiv, Generation Islam und Realität Islam eine Diskussion, die die Politik immer wieder abwägen müsse, sagt Propagandaforscher Zywietz. Unabhängig davon plädiert er dafür, stärker präventiv zu arbeiten. „Ich lasse mich nicht so leicht von extremistischen Ideologien überrumpeln, wenn ich sie überhaupt erkenne und einordnen kann. Dafür muss es aber viel mehr Medienkompetenz geben. Gerade Kinder und Jugendliche müssen erst noch lernen, Inhalte kritisch zu hinterfragen und sind deshalb leichte Opfer für Extremistinnen und Extremisten“, warnt Zywietz.

Eine Idee könnte sein, dass in der Schule mehr über Medien und deren Inhalte gesprochen wird: Medienkompetenz.

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