Prokurdischer Politiker in der Türkei: Kommt Selahattin Demirtaş bald frei?
Ein rechtsextremer Koalitionspartner des türkischen Präsidenten Erdoğan setzt sich für die Freilassung des Oppositionellen ein. Das hat Gewicht.
Es ist eine Ansage, die es in sich hat: Die Freilassung des ehemaligen Co-Vorsitzenden der kurdischen Partei HDP, Selahattin Demirtaş, „wäre im Interesse der Türkei“. Dies sagte am Dienstag niemand anderes als der Vorsitzende der rechtsradikalen türkischen Partei MHP, Devlet Bahçeli.
Am Montag hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die letzten möglichen Einsprüche der türkischen Regierung gegen eine Freilassung von Demirtaş zurückgewiesen. Bahçeli befand, Demirtaş habe „auf rechtlichem Weg ein Ergebnis erzielt“. „Seine Freilassung wird ein positiver Schritt für die Türkei sein.“
Devlet Bahçeli und seine rechtsnationalistische MHP sind die engsten Bündnispartner von Präsident Recep Tayyip Erdoğan und dessen AK Parti. Ohne die MHP hätte Erdoğan keine Mehrheit im Parlament. Über diesen formalen Zusammenhang hinaus gibt es aber noch eine andere Rolle, die Bahçeli seit über einem Jahr ausfüllt: Er ist derjenige aus dem Regierungslager, der in Sachen Friedensprozess mit der PKK vorangeht.
Letztes Jahr im Oktober sagte er im Parlament: Der seit 1999 im Gefängnis festgehaltene historische Führer der PKK, Abdullah Öcalan, möge ins Parlament kommen und dort das Ende des bewaffneten Kampfes und die Auflösung der PKK verkünden. Dann könne er darauf hoffen, noch einmal in Freiheit zu kommen.
Öcalan erklärte den bewaffneten Kampf für beendet
Seit Öcalan zustimmend auf Bahçeli reagierte, läuft der Friedensprozess – beziehungsweise die Verhandlungen für eine „terrorfreie Türkei“, wie Erdoğan es nennt. Nach mehreren Gesprächsrunden im Gefängnis mit Abgeordneten der DEM – der Nachfolgepartei der HDP – stimmte Öcalan einer Entwaffnung und Auflösung der PKK zu.
In einem öffentlichen Aufruf an seine Anhänger, deren Hauptquartier sich seit Jahren in den Bergen im Nordirak befindet, erklärte Öcalan den bewaffneten Kampf Anfang dieses Jahres für erfolgreich beendet. Und sagte, es beginne nun eine neue Phase des politischen Kampfes um die Rechte der Kurden.
Auf Drängen der DEM hat sich daraufhin eine Kommission aus nahezu allen im Parlament vertretenen Parteien gegründet, die mit verschiedenen Vertretern aus Politik, Bürokratie und gesellschaftlichen Gruppen spricht. Sie sollen ausloten, wie die politische Zukunft der Kurden in der Türkei aussehen könnte, was mit den demobilisierten Kämpferinnen und Kämpfern der PKK passieren soll und welche demokratischen Schritte die Regierung Erdoğan zu gehen bereit ist, um den jahrzehntelangen Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Minderheit beizulegen.
Erdoğan hat sich zwar in diesem Jahr schon dreimal mit Vertreterinnen und Vertretern der DEM getroffen, öffentlich hat er sich allerdings noch zu keinem Zugeständnis bereit gefunden. Das könnte sich jetzt ändern.
Kommt bald ein großes Treffen im Gefängnis?
Neben der Freilassung von Demirtaş fordert die DEM auch die der damaligen Co-Vorsitzenden Figen Yüksekdağ. Wie Demirtaş wurde sie im November 2016 verhaftet und später wegen Unterstützung der Terrororganisation PKK verurteilt. Dass Bahçeli jetzt sagt, es wäre im Interesse der Türkei, Demirtaş freizulassen, ist ein Indiz dafür, dass auch Erdoğan bereit sein könnte, dem Urteil des EGMR nach jahrelanger Hinhaltetaktik nachzukommen.
Bahçeli ist außerdem bereit, einem weiteren Wunsch der DEM entgegenzukommen: Die kurdischen Abgeordneten fordern, dass am Ende der Arbeit der Parlamentskommission eine Delegation von Abgeordneten aller Parteien Öcalan auf der Gefängnisinsel İmralı zu einem Gespräch besuchen soll. Ein solches Treffen „könnte den Friedensprozess unterstützen“, sagte Bahçeli. Die MHP sei bereit, sich an einer entsprechenden Delegation zu beteiligen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert