Projektreihe „Disappearing Berlin“: Wahnsinn in einem Bärenzwinger
Die Veranstaltungsreihe „Disappearing Berlin“ macht auf den Wandel Berlins aufmerksam. Ein Interview mit der Projektleiterin Marie-Therese Bruglacher.
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taz: Frau Bruglacher, bei den Veranstaltungen wurde vom Konzert über eine experimentelle Tanzperformance bis hin zur Überquerung des Landwehrkanals ein abwechslungsreiches Programm geboten. Was genau steckt hinter dem Konzept von „Disappearing Berlin“?
Marie Therese Bruglacher: Das Projekt befasst sich mit dem Verschwinden von konkreten architekturhistorischen Strukturen, bezogen auf den Abriss oder die Umnutzung von Gebäuden. Aber auch das Verschwinden von Orten in der Stadt, die in der Gesellschaft früher gewisse Funktionen hatten, die sich bereits verändert haben oder die im Begriff sind, sich zu ändern, spielt eine Rolle. Solche Veränderungen beeinflussen das Stadtbild und das gesellschaftliche Leben. „Disappearing Berlin“ setzt hier an und rückt den Dialog zwischen Performance, Architektur und BetrachterIn in den Vordergrund, um so das Bewusstsein für den städtischen Wandel zu schärfen. Es war uns wichtig, Kunstformen zu finden, die einen temporären Charakter haben und die für einen gewissen Zeitraum eben die Orte, an die wir mit dem Projekt gehen, bespielen können.
Also sind nicht alle Orte, die Sie bespielen vom Verschwinden betroffen?
Nein, wir hatten die Auftaktveranstaltung auf dem Dach des Postbank-Hochhauses am Halleschen Ufer – ein großes Bürogebäude aus den 70er Jahren – das wird nicht abgerissen, ist aber ein Emblem für die Berliner Stadtpolitik. Ursprünglich wollte der Investor das Hochhaus in einen Wohnturm umwandeln, wogegen sich das Bezirksamt gestellt hat und einen solchen Umbau letztlich verhindern konnte. Das Hochhaus wird als Gewerbeimmobilie weiterentwickelt, auf den anliegenden Grundstücken entstehen nun sozial geförderte Wohnungen. Das heißt, die Orte, die wir bespielen, sind solche, an denen aktuelle Stadtpolitik offenbar wird – entweder direkt durch den Ort verkörpert oder im Kontext seiner Umgebung.
geboren 1991, absolvierte am Goldsmiths, University of London ihren Master und leitet die Veranstaltungsreihe „Disappearing Berlin“.
Und diese städtebaulichen Veränderungen wollen Sie sichtbar machen?
Wir möchten an speziellen Orten Bewusstsein schaffen und Leute zusammenbringen. Und ja, Kunst bietet uns die Möglichkeit, den Wandel der Stadt aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten.
Wen hoffen Sie mit diesem Projekt zu erreichen?
Wir haben keine klare politische Agenda, sondern möchten vor allem Momente kreieren und den Blick auf die Veränderungen, die Berlin durchlaufen hat und noch durchläuft, schärfen. Dafür wollen wir Menschen zusammenbringen. Es ergaben sich bisher bei jeder Performance tolle Gespräche. Berliner, die die Stadt seit Ewigkeiten kennen, aber auch Zugezogene, die einen neuen Blick auf Berlin haben. Letztendlich, soll es ermöglichen über das, was in der Stadt, in der man lebt, passiert. Ich meine, es reden ja eh alle drüber. Da kann Kunst nach wie vor einen guten Anreiz geben.
„Pigeon Feather Stick. A play by Georgia Gardner Gray“ am 30. Juli im Bärenzwinger im Köllnischen Park, Berlin.
Wo findet die nächste Veranstaltung statt?
Im ungenutzten Bärenzwinger in Mitte. Bis 2015 war dies noch der Wohnort des Berliner Bären, damals ist der Zwinger vom Bezirksamt in einen Ausstellungsraum umgewandelt worden. Dort wird am Dienstag ein Theaterstück mit dem Titel „Pigeon Feather Stick“, der Künstlerin Georgia Gardner Gray aufgeführt. Auf humorvolle und verrückte Art und Weise erzählt sie von den Irrungen und Wirkungen menschlichen Daseins auf Erden. Der Bärenzwinger wird zur Wiege dieses Wahnsinns.
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