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Projektionsfläche Wale sind Ungeheuer und Objekte der VerehrungZutraulich, bis der Mensch kommt

Foto: Hendrik Brunckhorst/LKN.SH/dpa

Von Helmut Höge

„Wenn wir keine Menschen mehr ins Konzentrationslager schicken wollen, müssen wir damit beginnen, die Wale nicht mehr dorthin zu schicken“, meinte der Ethnologe Claude Lévi-Strauss. Punktum.

Inzwischen nähern wir uns dem Jagdverbot für alle Meeressäuger. Der Münchner Ökologe Josef Reichholf geht davon aus, dass es bei vielen sogenannten Wildtieren ein „Urvertrauen“ gab, das infolge ihrer zunehmenden Verfolgung durch den Menschen zerstört wurde. Es lasse sich jedoch wiederherstellen, wenn das Jagdverbot bei uns ein interesseloses Wohlgefallen an ihnen hervorrufe.

Als Beispiel erwähnt er ein Erlebnis im Golf von Kalifornien, wo ein Grauwal-Weibchen an die Seite seines „Whale Watcher“-Schlauchbootes kam, damit er ihm die lästigen Seepocken vom Kopf entferne. Reichholf vergaß bei dieser anrührenden Begegnung glatt das Fotografieren.

Die inzwischen auch massenhaft gefilmten Berichte über solche und ähnliche Erlebnisse sind Legion, einige über Delfine – beginnend mit den Naturforschungen von Aristoteles – wurden legendär. Ebenso die Erzählungen von Seefahrern über die neugierigen und zutraulichen Tiere, die an und auf einsamen Inseln ohne Fressfeinde lebten, bis der Mensch kam.

Die andere Projektionsfläche „Wal“ heißt „Moby Dick“ – und reicht zurück auf das Seeungeheuer „Leviathan“. Heute heißt eine amerikanische Reifenwaschanlagen-Kette nach dem weißen Wal und eine globale Kaffeehauskette nach einem seiner Jäger, Starbuck. Aus dem Harpunier Queequeg (so nennt sich auch ein Berliner Lyrikverlag) mendelten sich die professionellen Schlauchboot-Ninjas von Greenpeace heraus, die Walfänger mit der knappen Ressource Aufmerksamkeit jagen.

Eine kulturwissenschaftliche Arbeitsgruppe der Universität Weimar, die sich seit 2006 mit Melvilles „Jahrhundertroman“ beschäftigt, kommentiert seit 2012 in jeder Ausgabe der Literaturzeitschrift Neue Rundschau drei der 123 Kapitel. Ihnen gilt das Buch „als Zeugnis einer geradezu seismographischen kulturellen Selbstbeobachtung, die auch an unsere Gegenwart noch entscheidende Fragen stellt“.

An direkter Walbeobachtung fehlt es ebenfalls nicht – seitdem die „Whale Watcher“ und ihre „Local Guides“ ähnliche Zuwächse verzeichnen wie seit Rachel Carsons aufrüttelndem Buch „Der stumme Frühling“ (1963) die „Bird Watcher“. Das „Whale Watching“ hat ihnen gegenüber den Vorteil, dass sich die riesigen Tiere leichter observieren und fotografieren lassen, und dass es sich jederzeit steigern lässt – bis hin zum Unterwasserfilm. Der New-Age-Bewegung wurde der Delfin darüber zum Wappentier.

Bei der wachsenden Zahl von zunächst romantisch bis kitschig gestimmten Mitforschern über, unter und zwischen den Meeressäugern wird natürlich das Wissen über sie vermehrt oder „generiert“, wie man heute sagt.

Der Engländer Philip Hoare arbeitete sich in seinem Buch „Leviathan oder Der Wal“ (2013) durch die Faktenwelt des Romans „Moby Dick“, indem er an ihr entlang einige Spezifika der Gattung sowie die Geschichte des Walfangs, Fangtechniken, Aufstieg und Untergang der Walfängerei erkundete – vor Ort in Provincetown an der Spitze von Cape Cod. Zuletzt hatte er noch als Taucher vor den Azoren einige aufregende Erlebnisse mit einer Schule von Pottwalen.

Im „Riff“-Bericht der Südsee-Taucherin Julia Whitty (2009) fand ich einige mir bis dahin unbekannte Besonderheiten bei den Meeressäugern erwähnt, so zum Beispiel, dass Delfine beim Schlafen die Ohren verschließen, ihre Augen hingegen offen lassen (bei uns ist es bekanntlich umgekehrt).

Bei der wachsenden Zahl von zunächst romantisch biskitschig gestimmten Mitforschern über, unter und zwischen den Meeressäugern wird natürlich das Wissen über sie vermehrt oder„generiert“, wie man heute sagt

Auch ihr Atmen ist anders als unseres: „Es unterliegt ihrer bewussten Kontrolle.“

Nach den meist vergeblichen Versuchen des Psychologieprofessors John Lily, die Delfin-Sprache zu verstehen, ist die erste Euphorie bei der „interspecies communication“ einem gewissen Pragmatismus gewichen. Der amerikanische Tierbuchautor Eugene, er hatte erst Schimpansen studiert, die die amerikanische Taubstummensprache (ASL) lernten, und dann US-Soldaten, die in Vietnam ihre Vorgesetzten erschossen hatten, interviewte 2001 für sein Buch „Tierisch klug“ eine Delfintrainerin: Sie arbeitete zwar mit der für Militärhunde entwickelten Methode der „operanten Konditionierung“, kannte jedoch deren Grenze: „So ist es beispielsweise erheblich einfacher“, sagte sie, „mit einem Delphin zu arbeiten, wenn man davon ausgeht, dass er ein intelligentes Wesen ist.“

Ein polnischer Delfintrainer meinte hingegen, man dürfe sie auf keinen Fall unterschätzen. Die ­Assistentin des Walforschers Gregory Bateson und Kollegin von Lily, Margaret Lovatt, ließ zur Lösung dieses Problems einst die oberen Zimmer des halben Unterwasser-Labors „Dolphin House“mit Nasa- und Navy-Geldern wasserdicht machen und etwas über Kniehöhe auffüllen, damit sie mit dem Delfin „Peter“, dem sie Englisch beibringen wollte, Tag und Nacht üben konnte.

Der Spiegel berichtete darüber – etwas schlüpfrig allerdings; abschließend heißt es: „Das Projekt fand ein bizarres Ende, als LSD ins Spiel kam.“ Margaret Lovatt und Captain Ahab – les extrèmes se touchent.

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