: Projektion für alle
Vom Guckkasten bis zum Video Home System: Die neue Dauerausstellung im Deutschen Technikmuseum blickt auf die Technikgeschichte des Films zurück
Entweder ist der Eindruck trügerisch oder die Illusion perfekt. Man blickt auf einen Aufgang, der vom Wintergarten zum Restaurant eines Luxusliners führt. Alles sieht nach dem Prunk der Belle Epoque aus. Die Beleuchtung wirkt gelblich und überall stehen Palmen. Für einen Augenblick wird man das Gefühl nicht los, jede Sekunde könnte Leonardo DiCaprio hinter der exotischen Vegetation hervortreten.
Es passiert und bewegt sich aber nichts. Der Wintergarten gehört nicht zum Set von „Titanic“ oder von „The Beach“, sondern zur ersten Klasse des Luxusliners Imperator und wurde 1913 mit einer Stereokamera fotografiert.
Die kolorierten, dreidimensionalen Diapositive können heute in dem von dem Berliner August Fuhrmann 1889 patentierten „Kaiser-Panorama“ betrachtet werden, das in der neuen Dauerausstellung des Deutschen Technikmuseums „Lebende Bilder – Eine Technikgeschichte des Films“ steht. Neben zahlreichen Guckkästen und Laternae magicae illustriert das Rundlaufgerät die Entwicklung der verschiedenen Techniken, die zum Aufzeichnen und Projizieren von Lichtbildern wie zum Vortäuschen von Bewegung durch optische Spielereien erfunden wurden.
Anhand der Biografien der Filmpioniere sowie der Ausstellung ihrer Erfindungen wird der technische Durchbruch zum eigentlichen Film dokumentiert. Das „Kinetoskop“, ein Filmbetrachter, den Thomas Alva Edison 1891 fertig stellte, kann sogar selbst ausprobiert werden. Auf Knopfdruck – früher liefen die Apparate mit Münzen – läuft die 1893 gedrehte Szene der Hinrichtung der schottischen Königin Maria Stuart. Ein kurzes Beispiel der Sex-&-Crime-Mischung, mit der „peep-show or kinetoskop picture“ schnell populär wurde und auch die ersten Stimmen nach einer Filmzensur rufen ließ.
Der Film als Medium reflektiert seine Geschichte aber am deutlichsten durch sich selbst. In dem 1933 gedrehten Film „Als man anfing zu filmen“ erklärt der Berliner Filmpionnier Oskar Messter, wie die Brüder Lumières das „Kinetoskop“ in Paris studieren konnten und aus diesem die Inspiration für ihren „cinématographe“ bekamen. Messter war ein technischer Erfinder – 1896 konstruierte er den ersten brauchbaren Kinoprojektor – er gilt als Begründer der deutschen Filmindustrie. Mit einer reizenden berlinerischen Ausprache beschreibt er, wie mit der dreiteiligen „Zauberformel des Films“ – also dem gelöcherten Zelluloidfilm als Bildträger, dem Greifer für die Aufnahme, der Zahntrommel und dem Malteserkreuzgetriebe für die Wiedergabe ein„Brotjob für Tausende und Unterhaltung für Millionen“ möglich wurde.
Die rasante Fortentwicklung der Aufnahme-und Projektionstechnik zeigen die zahlreichen in Vitrinen ausgestellten Geräte für Profis und Amateure. Allerdings wirken die Schaukästen doch schnell wie die doppelte Seite eines Werbeprospekts von Media Markt.
Die technische Entwicklung führte auch zum Demokratisierung des Filmens. Das beweist der einstündige Trailer mit Ausschnitten von privaten Amateuraufnahmen von 1910 bis 1980 . Wie „Als man anfing zu filmen“ ist der Film „Eine Reise durch das Familienkino“ immer wieder auf digitalen Träger aufrufbar. Die Arbeitsweise der heutzutage immer mehr eingesetzten digitalen Technik wird also nicht ausgestellt, sondern als museumspädagogisches Mittel benutzt. In originalen Kinosesseln guckt man dann in die Richtung des Bildschirms und blickt auf fast ein Jahrhundert Home-Movie zurück: Hier faltet und rollt einer sein Zelt zusammen, dort verlässt ein frisch getrautes Ehepaar das Standesamt in einem VW Käfer. Später wird noch getanzt, Zigarre geraucht und gefegt. YVES ROSSET
Deutsches Technikmuseum Berlin, Di–Fr von 9 bis 17.30 Uhr, Sa und So von 10 bis 18 Uhr.
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