zoologie der sportlerarten: Prof. HIRSCH-WURZ über den Hobbyradler
Mit Wampe auf den Tourmalet
Nun, nachdem die härtesten Angriffe der bösen Opposition erfolgreich pariert wurden, ist die Zeit gekommen, in der sich die seriöse Wissenschaft mit dem Homo scharpicus zu beschäftigen hat. Nicht, dass uns der Mann übermäßig interessieren würde oder gar Leid täte. Auch wollen wir keineswegs gutheißen, wie er in einem mallorquinischen Bassin als eine Art schnorchelndes Wasserkarnickel die Dame seines Herzens umbalzte. Schon gar nicht den umfangreichen Gebrauch von Militärmaschinen zu rein zivilen Zwecken, mögen sie noch so humaner Natur sein.
Unser Zorn gilt nämlich nicht Rudolf Scharping, sondern der Doppelmoral dieser Gesellschaft, die sich gar nicht beruhigen kann über die hormonalen Flugreisen des Ministers, aber eisern geschwiegen hat, als er sich einem Treiben hingab, das weit verwerflicher war, und sich als Prachtexemplar einer Gattung entpuppte, die zum Ärgsten gehört, was dem Drang des Menschen nach sportlicher Betätigung entsprungen ist – als Homo speichicus dilettantis. Wo war die CDU mit ihren Rücktrittsforderungen, als Scharping ungehemmt muskulösen Jungs in kurzen Hosen nachstellte? Als er hochmoderne Bundeswehrfahrräder, die den Steuerzahler Millionen gekostet hatten, an Gebirgsabhängen zerschredderte – und sich selbst gleich mit? Als er reihenweise Zeitungskolumnen mit Lobeshymnen auf eine kleine gewissenlose Bande von Tour-de-France-Banditen voll schleimte und mehr Hände für diese ins Feuer legte, als Pontius Pilati in seinem ganzen Leben gewaschen hat? Als er verschwitzte Pedaltreter abschmatzte, bis ihnen die Asthmamittel aus den Augen traten. Als er das radsportelnde Michelin-Männchen für einen maroden Kommunikationskonzern spielte und sich noch weniger schämte als jetzt? Kurzum: Als er geradezu idealtypisch jene Geißel der Menschheit verkörperte, die da heißt: Hobbyradler.
Der Homo speichicus dilettantis ist ein relativ neues Phänomen, was Anlass zur Hoffnung gibt, dass er irgendwann auch wieder verschwindet. Er ist nahezu ausschließlich männlichen Geschlechts, tritt gern in Rudeln auf und bevorzugt eine Kleidung, deren wichtigtuerische Farbgebung jeden Mandrill vor Neid erblassen ließe. Macht er den Mund auf, erzählt der Hobbyradler unweigerlich, wie er im letzten Urlaub den Tourmalet nur unwesentlich langsamer als Lance Armstrong hinaufgeschnellt ist, oder dass der Mont Ventoux „im Grunde auch nur ein Berg“ sei. Beiläufig erwähnt er, dass es schon ein wenig anstrengend sei, wenn man sich am Schluss der Passhöhe ganz allein nähern müsse, weil all die Wasserträger schon früh zurückgefallen seien, und lässt keinen Zweifel daran, dass er – würde er nur ernsthaft trainieren, wäre ein paar Jahrzehnte jünger und nicht an seinen Job als Studienrat gebunden – durchaus ein Problem für „Janni“ und die anderen darstellen könnte, deren Tun er mit seinem Fachgesimpel lückenlos begleitet.
Das Zweitschlimmste, was einem Homo speichicus dilettantis in freier Wildbahn begegnen kann, ist eine Gruppe des Homo speichicus professionalis, welche in die gleiche Richtung fährt. Bemerkt er rechtzeitig ihre Annäherung, heißt es blitzschnell kehrtmachen und so tun, als habe er sich verfahren. Verpasst er diese Chance, ist er verloren und sein Selbstbewusstsein erleidet angesichts des im Eilzugtempo vorbeirauschenden Pulks einen moralischen Schlag, der schon manche Hobbyradlerkarriere abrupt beendet hat.
Das Schlimmste aber, was ihm passieren kann, ist eine im Eilzugtempo vorüberrauschende Gruppe, die aus Angehörigen der Spezies Homo speichicus dilettantis besteht. Ein großes Problem des Hobbyradlers ist die ärgerliche Wölbung, die er selbst Bauchmuskeln nennt, sein weniger wohlmeinendes Ehegespons hingegen Wampe. Auf Grund eines genetischen Defekts ist der Homo speichicus dilettantis unfähig zu erkennen, dass besagte Wucherung eng mit der Gewohnheit zusammenhängt, Trainingsfahrten in gemütlichen Etablissements enden zu lassen, wo der immense Flüssigkeitsverlust mittels Zufuhr nahrhafter Getränke kompensiert wird.
Lästiger als die männliche Ausprägung des Hobbyradlers ist eigentlich nur die weibliche, welche die gefürchtete Variante „gemütliche Radtour ins Grüne“ favorisiert. Zum Glück endet auch diese meist in einem der erwähnten Etablissements – wenn nicht gar in einem mallorquinischen Swimmingpool.
Wissenschaftliche Mitarbeit:
MATTI LIESKE
Fotohinweis:Holger Hirsch-Wurz, 57, ist ordentlicher Professor für Humanzoologie am Institut für Bewegungsexzentrik in Göttingen.
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